Anno 1878 wird aus dem Brohltal berichtet: „Der Stand der Sittlichkeit ist im ganzen ein sehr erfreulicher"

VON FRIEDHELM SCHNITKER

Nicht nur Menschen und Bücher, auch Landschaften haben ihre Schicksale. Unter den deutschen Landschaften war lange Zeit die Eifel das Stiefkind. Ältere Darstellungen schildern wahrhaft grönländische Verhältnisse; ein „unwirtlich Land" voll Sturm, Eis und Schnee, arm an Sonne und an landschaftlichen Schönheiten. Die Bewohner fristeten ein karges Leben. Heute gilt die Eifel in ihrer herben Schönheit als Erholungsgebiet; gepflegte Gaststuben laden zu gemütlichem Verweilen ein in Dörfern mit schmucken Fachwerkhäusern; in der Landwirtschaft erleichtern Landmaschinen, die als des „Bauern moderne Heinzelmännchen" gelten, die früher oft mühsame Arbeit. Wie aber bot sich die Eifel und was unseren Bericht betrifft das Brohltal dem seltenen Besucher vor etwa 100 Jahren? In dem Buch „Beiträge zur Specialgeschichte der Rheinlande" von Julius "Wegeler (Coblentz 1878) werden die Verhältnisse im Brohltal um die damalige Zeit eingehend geschildert. Zunächst:

„Der Character der Bewohner ist im allgemeinen, der des Rheinländers. Ein heiterer Sinn, eine gesunde Beurtheilungsgabe und große Empfänglichkeit für Lob möchten die Hauptzüge sein."

Das Temperament der Bewohner wird als „phlegmatisch" bezeichnet. Die Begründung hierfür ruft beim Leser ein „gewisses Lächeln" hervor:

„Das Temperament wird doch größtentheils durch die Nahrung bedingt. Während stickstoffreiche Nahrung, namentlich Fleischkost, muthige, kräftige und ausdauernde Menschen schafft, bleiben die von stickstoffarmen vegetabilischen Substanzen Lebenden schwach, aufgedunsen, wenig ausdauernd, wie denn z, B. beim Eifelbäuerchen der Mangel der Hinterbacken charakteristisch ist."

Diese „harte Aussage" mildert der Autor freilich durch nachfolgende Feststellung:

„Die Geistes-Anlagen sind im allgemeinen gut zu nennen; so haben wir ausgezeichnete Handwerker in unserem Bezirk," Die Mahlzeiten der durchweg bäuerlichen Bewohner waren sehr einfach: Wasser oder Kaffee, Brot, Käse oder Obstkraut, Kartoffeln, seltener schon Gemüse.

„Der Caffee, mit Cichorie reichlich versetzt, ist eigentlich nur ein braunes warmes Wasser, das als schickliches Vehikel dient, das feste Nahrungsmittel zum Magen bringt." Aus dieser Zeit stammt folgende Begebenheit. Ein Bauer, dem seine Frau ein Brot mit spärlichstem Belag mitgegeben hatte, soll am Abend seiner besseren Hälfte vorwurfsvoll gesagt haben: „Frau, et hart zevill no Mell jeschmäck." Als Brotbelag diente oft Birnenkraut oder volkstümlich — „Birrekraut".

,,Auch den Birnbaum liebt man; theils trocknet man die Birnen, theils kocht man den Saft zu Birnkraut ein; es wird dazu hauptsächlich eine süße, kleine rundliche Birne benutzt, die die Oelligs-Birne genannt wird und große Erträge gibt." Nichts geändert hat sich an der Feier der Kirmes. So könnten folgende Zeilen auch eine heutige Dorfkirmes beschreiben, lediglich die kulinarischen Genüsse sind heute, dem Wirtschaftswunder entsprechend, üppiger:

„Die Kirmes wird noch gehörig gefeiert, und die Vorbereitung dazu, das Scheuern, Putzen und Reinigen des ganzen Hauses und seines Beringes ist schon ein vortrefflicher Anfang. Die Kirmes selbst wird durch Essen von Fleisch und Weißbrot allgemein gefeiert und ihr durch Tanz und Spiel hauptsächlich gehuldigt. Der Mensch vergißt an diesem Tage mal seine Sorgen, weil es einmal so hergebracht ist und im Schwindel des Tanzes denkt er nicht, was er zu zahlen hat, ist stets froh und gastfreundlich und bedarf am dritten Tage noch des Vormittags, um alle genossenen Freuden auszuschlafen. Die Nachkirmes ist nur auf einen Tag beschränkt."

Sehr beruhigend klingt die Feststellung:

„Der Stand der Sittlichkeit ist in ganzen ein sehr erfreulicher. Ehescheidungen sind selbst dem Namen nach unbekannt."

Ein weiteres Stichwort der Chronik gilt den

„Verbrechen und Vergehen":

„Verbrechen sind selten. Abstrahlten wir von Feld- und Holzdiebstählen, so möchten Jagdfrevel noch das häufigste Vergehen sein. Diebstähle mit Einbruch gehören zu den größten Seltenheiten, Mord- und Todtschlag noch weit mehr; den Gebrauch der Messer als Stichwaffe kennt man nicht, und selbst die Kirmesschlägereien arten nicht leicht aus. Dafür ist aber auch ein Policist für unsere ganze Bürgermeisterei eigenthlich schon zu viel; das sieht derselbe auch selbst ein und erspart den Leuten möglichst den Anblick seiner Uniform. Etwas müssen wir doch vor der Residence voraus haben. Die Lust an Processen, die dem Bauern immer noch etwas anklebt, hat in den letzten Jahren abgenommen. Hat der Bauer mal einen Process begonnen, so halt er ihn fest; dann leuchtet mal wieder seine alte Hartköpfigkeit deutlich hervor."

In einem Abschnitt wird die Straßensauberkeit und -reinigung in damaliger Zeit behandelt; ein Thema, das heute noch manche Gemeinderatssitzung beherrscht:

„Die Ortsreinlichkeit läßt in der Woche wohl Manches, an Sonntagen nichts zu wünschen übrig; an einem Sonntag Morgen sind sämtliche Straßen gekehrt, und ein erfreulicher Sinn für Ordnung und Reinlichkeit ist überall 211 bemerken. Ein Abfließen der Jauche findet wohl nur mehr dann statt, wenn anhaltender Regen die Behälter zum Überfließen bringt."

Zum Abschluß sei hier noch die amüsante Feststellung des Autors mitgeteilt:

„Wir können das intheressante Ergebnis hier anführen, daß mit Ausnahme der wenigen Beamten-Fracks nicht zwei weitere in der ganzen Bürgermeisterei zu finden sind."