Die Sage der Burg Insul

VON JOHANN SCHM1TTEN

Im Heimatjahrbuch 1972 erschien vom gleichen Verfasser ein Beitrag

Burg Insul, Entstehung und Geschichte

dessen Ergänzung die nachfolgende Sage ist, die im Zusammenhang gesehen werden muß. Die zu den früheren Zeiten vermutete Landschaftsgestaltung und vorherrschende Prägung des Landschaftsbildes ergibt sich aus dieser „Sage".

Auf dem Berge mitten im Tal wohnte einst ein Stammesfürst, abgesichert durch hohe Mauern, die auf felsigem Grunde standen. Die Höhe bot Sicherheit, und mit bewehrten Mannen hielt man dort Wache, um gegen eindringende Feinde jederzeit gewappnet zu sein. Hier konnte man das ganze Tal überschauen,

das fruchtbar und für seine Sippe auf dem Acker und den Wiesen gute Nahrung bot. Gefahrvolle Jagd in den Wäldern der nahen Hänge und Berge ergänzte die Nahrung. In den drei Seen rund um den Berg, die diesen schützend umgaben, bot der Fischfang, was noch fehlte zur Nahrung.

Dem Stammesfürsten wurde noch ein Mädchen geboren, das nicht nur voll Anmut war, sondern auch fröhlich ihm und der Mutter die Tage versonnte. Von der Güte der Mutter und der Obhut des Vaters geleitet, wuchs es heran. Es trollte am Berghang, es sprang an die Ufer der Seen, und schon bald war es wagemutig genug, ein Floß zu besteigen, das ansonsten zum Fischfang am See verankert war. Und war das Mädchen auf dem Wasser des Sees, dann war es, als ob die Tiere am Waldrand verwundert herüberblickten, ob soviel Anmut im Reich der Natur. Und seine gefiederten Freunde, die Vögel setzten sich zu ihm aufs Floß und stimmten ein in den frohen Gesang des Mädchens.

Wenn im Winter Schnee und Eis die Gewässer verbargen, blieb doch noch ein Tümpel ständig offen, denn eine Quelle brachte Wärme. Sie dampfte im Frost und zarte Nebel verwandelten sich dann in viele tausend Kristalle. Wenn Regen und Sturm es zu arg trieben, mußte das Mädchen auf dem Burghof bleiben, umwehrt von hohen Mauern, die Zeit sich vertreibend.

Nur die Vögel waren dann, seine Gesellen und auch die Mannen, die Burg und das Tal bewachten.

Um ihm die Zeit zu vertreiben, kaufte der Vater ihm schönes Spielzeug von fahrenden Händlern, die aus fernen Ländern gekommen sind und für die Männer Warfen, für die Frauen aber schönsten Schmuck anboten. Es ward dem Mädchen ein wunderliches Spielzeug geschenkt, aus glänzendem schönen Metall, wie eine Wiege für seine Puppenkinder, die ihm ein Wehrmann aus feinem Holze geschnitzt hatte.

In der Mitte des Hofes war eine Rundung, erhöht über dem Boden, mit Steinen gefaßt: Der Brunnen der Burg mit gähnender Tiefe und fast ohne Grund. Nur die Stimme, die hineinhallte, kam als Echo zurück, ebenso die Schale mit Wasser, wenn man sie hinabließ ins unheimliche Dunkel des Brunnens. Auf den Steinen am Rand sang die Prinzessin ins Dunkel hinein, verwundert, daß ihre Stimme ein Doppel, der funkelnde Widerschein auf dem Brunnengrunde ein Leuchten wie verzaubernd hervorrief. Hier stand sie oft, hielt die Goldwiege im Arm und ließ die Stimme erklingen. Da geschah es einst, daß die Wache ein Zeichen gab, und Unruhe begann sich im Hofe zu zeigen. Es waren der Feinde viele gesichtet im Tale. Jetzt galt es zu sichern das Haus und die Sippe, und bald erklang rundum viel Lärm. Erschreckt ob des Tuns, lösten sich die Hände des Mädchens von seinem Lieblingsspielzeug, der Wiege aus Gold. Sie aber glitt ab auf die Steine des Brunnenrandes und stürzte tief in den Schacht des Brunnens. Nur ein Plätschern war noch in der Tiefe zu hören, dann war es still. Aber nur dort, denn das Unglück ging weiter, der Kampf begann und grausam wütete Tod und Gewalt.

Als die Not immer größer wurde, und die Angst alle ergriff, da stürzte die Mutter herbei, nahm das Mädchen am Arm und eilte damit in den Keller der Burg. Ein geheimer Gang tat sich auf und geduckt durch den Stollen floh man fort, das Dunkel nur durch eine Fackel erleuchtet. Unheimlich klangen die Tritte und bröckelndes Gestein erzeugte gespenstischen Klang. In einem Gebüsch am Rande des Berges endete der heimliche Gang, das Sonnenlicht warf spärliche Strahlen hinein.

Es gab für sie keine Rückkehr, denn der Vater und die Brüder blieben im Kampf; nur die Flucht in die Wälder rettete Mutter und Kind, die so für immer das schöne gastliche Tal verließen und nie mehr gesehen wurden. Wenn der Herbstwind heute die Bäume oben zerzaust und die Blätter weit hinein in das Tal verweht, dann glaubt man auf dem Berge oben das Jauchzen des Kindes bei fröhlichem Spiel zu hören oder die Weheschreie der Mutter, als der wilde Kampf ihre Familie zerstörte. Doch die goldene Wiege liegt noch wie einst im Brunnen der Burg. Wer wird wohl einmal den Brunnen finden, der die Wiege verbirgt wie die Tausende von Jahren, die das Schicksal der Burg hüten.