Zerstörung der Burg Neuenahr vor 600 Jahren
VON DR. PAUL KRAHFORST
Der Wanderer, der an einem trüben Tage nach steilem Aufstieg den Burgberg Neuenahr erreicht, wird noch immer den bereits 1849 niedergeschriebenen Eindruck Gottfried Kinkels bestätigt finden, der in folgender Beschreibung seinen trefflichen Ausdruck findet;
„Eine schaurige Stille herrscht auf dieser Höhe; das ganz und gar vertilgte, nicht einmal in Trümmern aufbewahrte Leben der Vorzeit, das sich hier einst bewegte, faßt den. Einsamen mit gespenstigem Schander an."
Um so mehr ist es zu begrüßen, daß nunmehr auf dieser 340 Meter über dem Meeresspiegel liegenden, beherrschenden Höhe wieder ein neuer Aussichtsturm errichtet werden soll. Auf einem solchen, über die Baumwipfel hinausragenden Turm wird sich ein beeindruckender Fernblick auftun, der bei klarem Wetter im Norden über die weitausgebreitete Grafschaft hinweg bis zu den hochragenden Türmen des Kölner Doms, im Osten an der majestätisch sich in der Landschaft erhebenden Landskron vorbei bis zu den Höhenzügen des Rheingebirges und des Westerwaldes, im Süden zu dem imposant herausragenden Bergfried der Ölbrück und im Westen zu den Höhenzügen der Eifel mit Hoher Acht und Nürburg reicht. Der künftige Aussichtsturm wird sicher einer Vielzahl von Wanderern die Bergeshöhe wieder attraktiv erscheinen lassen. Wenn bei Schulwanderungen, oder Familienausflügen das lustige Plappern von Kinderstimmen zu hören sein wird, dann dürfte die von Kinkel beschriebene „schaurige Stille" an diesem Ort überwunden sein. Es ist wohl ein glücklicher Umstand, daß die .Errichtung des neuen Aussichtsturmes gerade in dem Jahr stattfinden wird, in dem etwa 750 Jahre zuvor die alte Burg Neuenahr erbaut und genau 600 Jahre zuvor die Burg zerstört worden ist. Das dürfte hinreichend Anlaß sein, den Geschehnissen, die zur Erbauung und Zerstörung der Burg geführt haben, nachzuforschen, zumal — soweit ersichtlich — eine zusammenfassende Schilderung dieser Ereignisse bisher noch nicht erfolgt ist.
Aus den heute nur spärlich noch vorhandenen Resten der geschleiften Burganlage lassen sich für den Ungeübten keine sicheren Rückschlüsse auf die ehemals vorhandene Ausgestaltung der damaligen Burg ziehen. Es drängt sich die Erwägung auf, ob sich aus dem Vergleich mit den übrigen bedeutenden Burgen des Ahrtals Hinweise für die Anlage und Ausgestaltung der Burg Neuenahr gewinnen lassen. Dabei ist zunächst an die bei Mayschoß gelegene Saffenburg zu denken, die urkundlich als älteste Burg des Ahrtals in Erscheinung tritt. Sie •war bereits im 11. Jahrhundert Sitz der Grafen von Saffenburg, von denen Graf Adalbert im Jahre 1104 die mit dem Ahrtal in enger Beziehung stehende Abtei Klosterrath stiftete. Die Saften bürg wurde im Februar 1704 von Artilleristen der Festung Jülich unterminiert und so gründlich gesprengt, daß es heute erhebliche Schwierigkeiten bereitet, die Anlage dieser das Saffenburger Ländchen {Laach, Mayschoß, Rech, Dernau und Marienthal) beherrschenden Burg im einzelnen zu rekonstruieren. Ebensowenig ist heute noch von der im Jahre 1206 erbauten, vieltürmigen Burg Landskron vorhanden, die im Jahre 1674 in Flammen aufging. Zwar sind durch die äußerst gründlichen Forschungen von Frick neben der höchst interessanten Geschichte dieser Burg auch deren bauliche Anlagen weitgehend dem Dunkel der Geschichte entrissen worden, doch dürfte für eine vergleichende Betrachtung der Bauentstehung hinderlich sein, daß es sich gerade bei der Landskron um eine im Streit zwischen Philipp von Hohenstauffen und Otto IV. erbaute Reichsburg handelt, hingegen, wie noch darzulegen ist, die Burg Neuenahr die Festung eines Landesherrn mit kleinem Territorialgebiet ist. Damit gelangen wir, als Vergleichsobjekten, zur Burg Are in Altenahr und zu der Nürburg in der Eifel. Die um 1100 unter Graf Theoderich erbaute Burg Are ist noch heute anhand der vorhandenen Ruinen weitgehend in den Grundzügen ihrer architektonischen Planung erkennbar und könnte somit einige Hinweise für die vergleichende Betrachtung erbringen. Wertvoller für die ohnehin nur hypothetische Untersuchung ist jedoch die Nürburg. Wie aus den präzisen Forschungen von Professor Wirz in seinem leider noch immer ungedruckten umfangreichen Werk „Der Ahrgau im Wandel der Zeiten" zu entnehmen ist, hatte Graf Theoderich von Are sechs Söhne. Unter dem Sohn Ulrich (1143 bis 1198) kam es um die Mitte des 12. Jahrhunderts zum Bau der Nürburg, die um das Jahr 1166 als vollendet erscheint. Bedeutsam für unsere Betrachtung ist, daß aus dieser Seitenlinie der Grafen von Nürburg-Are der Erbauer der Burg Neuenahr entstammt. Es handelt sich dabei um Graf Otto, der im Jahre 1225 erstmals unter der Bezeichnung "Graf Otto von Neuenahr" urkundlich genannt wird. Graf Otto war der Sohn des Grafen Gerhard von Nürburg-Are, ein Nachkomme des Erbauers der Nürburg Graf Ulrich und der Gräfin. Antigone. Sein Vater, Graf Gerhard, besaß als alleiniger Herr der Nürburg neben dem ausgedehnten Eifelgebiet noch hinzuerworbenes Land an der unteren Ahr. Als Graf Gerhard 1221 starb, hatte er in seinem Testament angeordnet, daß seine Grafschaft auf seine beiden Söhne Theoderich und Otto aufgeteilt wurde. Theoderich erhielt die Nürburg und das sie umgebende Land. Otto wurde hingegen der Landbesitz im Bereich der unteren Ahr zugewiesen. Es liegt auf der Hand, daß Otto nun vor der Aufgabe stand, sich eine Burg zu erbauen, von der er das ihm vom Vater zugeteilte Land regieren konnte. Wenn es auch an einschlägigem Quellenmaterial fehlt, das uns in die Lage versetzen könnte, den genauen Zeitpunkt der Erbauung der Burg Neuenahr festzulegen, so kann doch der Zeitraum zwischen die Jahre 1221 (Tod des Grafen Gerhard von Nürburg-Are) und 1225 (erste Namensnennung des Grafen Otto von Neuenahr) eingegrenzt werden. Graf Otto war damit zum Stammherr der Grafen von Neuenahr geworden.
Es wäre wohl zu einfach, wenn man die von Graf Otto auf dem Neuenahrer Berg erbaute Burg als eine Kopie der Burg seines Vaters, nämlich der Nürburg, ansehen wollte. Auffallend erscheint jedoch, daß sie — ebenso wie die Nürburg — auf einem noch aufragenden Berg, der einen weiten Blick über das Land vermittelt, als Gipfelburg angelegt ist. Eine kluge Planung des Verteidigungssystems vor Beginn der Erbauung läßt sich daraus entnehmen, daß die für die Erstellung der Mauern benötigten Steine an Ort und Stelle aus dem vorhandenen Basaltgestein so aus der Bergkuppe herausgebrochen wurden, daß die hierdurch entstehenden Aushöhlungen der Steinbrüche später sogleich als Schutzgraben Verwendung finden konnten. An den Spuren des Mauerwerkes ist heute noch zu erkennen, daß für den Bau der Burg die unter einer Grauwackenschicht vorhandenen Basaltsteine des Bergkegels entnommen worden sind. Wenn auch keine sichere Beweisführung dahin möglich ist, daß Graf Otto die Burg Neuenahr — ihr Name ist aus dem Gegensatz zur alten Stammburg Are in Neuenahr zu entnehmen — nach dem Vorbild der Nürburg erbaut hat, so liegt es doch nahe, daß Graf Otto schon aus der Erinnerung aus seiner Kindheit zumindest in Einzelheiten Elemente der elterlichen Burg übernommen hat. Der damaligen Übung entsprechend kann davon ausgegangen werden, daß zu den Bauarbeiter! Hörige und unfreie Leute herangezogen wurden. Möglicherweise fanden sich auch die in der Umgebung wohnenden Leute freiwillig zu den Arbeiten ein, um wegen der damals bestehenden Notlage sich einen Verdienst zu beschaffen, wie es für die Erbauung der Burg Landskron im Jahre 1206 nachgewiesen ist. Nach dem Tode seines Vaters befand sich Graf Otto in einer Pioniersituation, da er mit der Erbauung der Burg etwas Neues schaffen mußte. Seine Lage kann insoweit mit derjenigen von Konrad von Are-Hochstaden verglichen werden, der etwa 25 Jahre später im Jahre 1248 im benachbarten Ahrweiler vor der noch etwas schwierigeren Aufgabe stand, nach der im Jahre 1241 erfolgten Einäscherung des alten Dorfes Arwilre nunmehr eine neu befestigte Stadt an der Südgrenze seines Stiftes zu planen und völlig neu anzulegen. Die heute noch auf dem Bergkegel vorhandenen Mauerreste und insbesondere die Art der Anlage des Grabensysteiris läßt es zumindest vertretbar erscheinen, daß in dem Roman „Bonizetta von. Are" die Burg eine Beschreibung als gewaltige, machtvolle Festung erhält, die mit mächtigen Mauern, einem hohen Turm, mit Burggarten, Zugbrücke und Burgtor, Wohngebäuden für die gräfliche Familie, für das weibliche Gesinde und die Troßknechte und die Stallungen für Pferde, Waffen- und Vorratskammern, sowie mit einer Burgkapelle und einem Brunnen ausgestattet war. Der Phantasie werden gerade in diesem wertvollen Heimatroman, der sich weitgehend mit dem Leben, auf der Burg Neuenahr befaßt, zahlreiche Hilfen bei der Vorstellung über die damaligen Einrichtungen der Burg geboten, wenn von dem Herrensaal die Rede ist, dessen Wände mit Waffen und Geweihen geschmückt sind und an denen sich die Eisenringe für die Fackelbeleuchtung des Saales befinden. Das gleiche gilt etwa von der Beschreibung der Kemenate der Burggraf m, die mit einem geschnitzten Holzbett, einem Betpult und einer Truhe ausgestattet ist, in der das von einem Spinnrad hergestellte Leinenzeug aufbewahrt wird.
Wie konnte es nun schon nach relativ kurzer Zeit, nämlich nach etwa 150 Jahren, zur vollständigen Zerstörung dieser großen Burg kommen. Maßgebliche Aufschlüsse hierüber lassen sich aus der wertvollen Urkundensammlung von Frick „Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr" gewinnen. Der Ausgangspunkt Hegt im folgenden:
Nachdem die Grafen von Neuenahr und ihre residierenden Abkömmlinge bereits länger als 100 Jahre auf der Burg gelebt hatten, ergab es sich, daß aus der Ehe des Grafen Wilhelm III. von Neuenahr mit Johanna von Elsloo (Holland) erstmals kein männlicher Erbe, sondern als einziges Kind nur die Tochter Katharina hervorging. Nachdem Wilhelm III. 1351 verstorben war, übernahm die Vormundschaft über die noch minderjährige Katharina deren Großonkel Graf Krafto, der Domherr in Köln und Stiftsherr in St. Cassius (Münster) in Bonn war. Am 1. März 1353 kam es zwischen Graf Krafto und Johann von Saffenburg zu einem Verlöbnisvertrag („Hillich"), wonach Katharina den gleichfalls noch minderjährigen Sohn Johann von Saffenburg heiraten sollte. Die Ehe wurde später im Jahre 1260 vertragsgemäß geschlossen. Dabei ist von Interesse, daß die Saffenburg, die ursprünglich von Grafen, später nur noch von Herren regiert wurde, inzwischen enge Bindungen zur Burg Neuenahr hatte, da bereits 1298 ein Johann von Neuenahr Herr von Saffenburg geworden war. Verhängnisvoll wirkte es sich bei dem Verlöbnisvertrag, durch den Katharina Herrin von Burg und Grafschaft Neuenahr werden sollte, aus, daß im Widersprach zu der im frühen Mittelalter allgemein herrschenden patriacharlichen Auffassung die Herrschaft über Neuenahr nicht mehr durch einen männlichen Nachfolger, sondern durch eine Frau mit der Folge fortgesetzt werden sollte, daß die Weiterführung des Namens nicht durch die biologische Abstammung gewährleistet war. Hierdurch kam es in der Folgezeit zu einer Vielzahl von Streitigkeiten über die Herrschaft von Burg und Grafschaft Neuenahr. Insbesondere traten nunmehr männliche Verwandte, die von nicht residierenden Abkömmlingen der Grafen von Neuenahr abstammten, mit dem Anspruch auf das „Mannlehen" hervor. Es waren dies insbesondere die Herren von Roesberg im Vorgebirge, die sich Grafen von Neuenahr nannten und Urenkel eines früher auf der Burg residierenden Grafen von Neuenahr waren, sowie Gerlach von Isenburg. In diesem Zusammenhang erscheint die Frage nach der damals bestehenden erbrechtlichen Regelung nicht uninteressant. Erben waren in erster Linie die Mitglieder der Hausgemeinschaft, zu denen Söhne und Töchter gehörten. Grundsätzlich waren die Männer erbrechtlich zwar besser gestellt als die Frauen, die früher vor den auf der gleichen erbrechtlichen Stufe stehenden Männern zurücktreten mußten. Ursprünglich hatten Frauen an Liegenschaften überhaupt kein Erbrecht, Aber bereits durch ein Gesetz König Chilperichs (561 bis 584) wurde den Frauen das Erbrecht am Grundbesitz eingeräumt. Von diesem Zeitpunkt an konnten nicht nur die Söhne eines verstorbenen Erblassers erbberechtigt am Boden sein. Aufgrund dieser Rechtslage stellt sich das Begehren der Herren von Roesberg und des Gerlach von Isenburg nach dem Eigentum und dem Besitz der Burg Neuenahr als unberechtigt dar. In der Folgezeit wechselten Bemühungen um gütliche Einigungen und wiederum sich anschließende Streitigkeiten im Ringen um die Vormacht auf der Burg und in der Grafschaft ab. Während es nm 25. Juli 1360 noch zu einem Sühnevertrag zwischen Gerlach zu Isenburg und Johann von Saffenburg und Katharina kam, entstanden noch im selben Jahr zwischen den Streitparteien. derartige Differenzen, daß es zur Klageerhebung durch den Kölner Erzbischof Wilhelm, der auf Seiten Katharinas stand, und zur Erhebung einer Gegenklage durch die Brüder Johann und Dietrich von Roesberg kam. Die Klage wurde bei einem vereinbarten Schiedsgericht erhoben, das aus Herzog Wilhelm von Jülich, dem Grafen Dietrich von Looz (Belgien) und weisen Leuten der Städte Köln, Bonn und Andernach bestand. Die Klage warf den Brüdern Johann und Dietrich von Roesberg und deren Vater Johann von Neuenahr vor, mit gewappneter und gewalttätiger Hand den Ehemann Katharinas, Herrn Johann von Saffenburg, gefangengenommen und ihn seiner Habe beraubt zu haben. Mit der Gegenklage wird u. a. geltend gemacht, der Erzbischof habe die Herren zu Roesberg zu Unrecht an der Führung des Neuenahrer Wappens beim Turnier in Bonn gehindert. In den folgenden zwölf Jahren kam es immer wieder zu neuen Übergriffen und andererseits Bemühungen um eine vergleichsweise Regelung der streitigen Erbfrage. Die Brüder Johann und Dietrich von Roesberg beriefen sich darauf, Johann von Saffenburg, den sie wundgeschlagen und den sie gefangengenommen hatten, habe sie in ihren Nachlaßrechten beeinträchtigt, indem er ihnen ihr väterliches Erbe, nämlich die Grafschaft Neuenahr vorenthalten, von der sie ihre Abstammung und ihr Wappen herleiteten. Obwohl im Jahre 1360 in Bachem bei Ahrweiler zwischen den Streitparteien ein rechter Burgfriede auf ein Kruzifix geschworen wurde, kam es in der zweiten Jahreshälfte 1365 dazu, daß Johann von Roesberg den Burgfrieden brach und gemeinsam mit Gerlach von Isenburg die Burg Neuenahr eroberte, die Gräfin Katharina und ihren Ehemann Johann von Saffenburg von der Burg vertrieben, und sie um Wein, Korn, Hafer, Heu, Hausrat und alle ihre andere Habe im Wert von über 1000 Gulden brachten. Dieserhalb erhoben Johann von Saffenburg Lind seine Frau Gräfin Katharina Klage vor den Geschworenen des gemeinen Landfriedens. Der Landfrieden zwischen Rhein und Maas war als Friedensbund mit dem Ziel gegründet worden, die sich im Lande mehr und mehr häufenden Gewaltverbrechen. durch Androhung peinlicher Strafen zu bekämpfen. Die Helfer Johanns von Roesberg wurden bei den Geschworenen des gemeinen Landfriedens verklagt, daß sie am 4. und 5. Mai 1365 die Untertanen der Grafschaft Neuenahr in Gelsdorf und Bodendorf beraubt, gefangen und mißhandelt haben, bevor sie insbesondere in Bodendorf die Leute zunächst auf den Kirchhof und dann in die Kirche gejagt und versucht haben, sie samt der Kirche zu verbrennen. Es würde im Rahmen dieser Abhandlung zu weit führen, alle diese im einzelnen aus den verschiedenen Urkunden zu entnehmenden. Grausamkeiten des Mordens, Plündern und Brandschatzens im Detail wiederzugeben. Im Januar 1366 wird Johann von Roesberg, der sich vorübergehend wegen der gegen ihn erhobenen Anklagen in Haft der Geschworenen des Landtages befand, vom weiteren Vollzug der Haft gegen das Versprechen verschont, bei der geringsten künftigen Übertretung sich als Geisel zur Verfügung zu stellen. Am 23. August 1366 kommt es wiederum zu einer Aussöhnung der Streitparteien. Entgegen dem inzwischen erfolgten Gerichtsspruch der Geschworenen des Landfriedens ließ Johann von Roesberg die während der früheren Streitigkeiten gefangengenommenen Leute der Saffenburger nicht frei. All diese Übergriffe und die Mißachtung von Recht und Gesetz, die auch darin zum Ausdruck kam, daß Johann von Roesberg den angesetzten Gerichtsterminen einfach fernblieb, führten schließlich dazu, daß der Erzbischof von Köln zu dem Entschluß kommt, im Jahre 1372 die Burg Neuenahr zu belagern und zu zerstören. Zu diesem Schritt mag den Kölner Landesherrn auch bewegen haben, seine kurkölnische Mithauptstadt Ahrweiler, die nur einige Kilometer von der Burg Neuenahr entfernt lag, endgültig von den Behelligungen zu befreien, die ständig von der besetzten Neuenahrer Burg ausgingen. Schon die Klage des Kölner Erzbischofs vor dem Schiedsgericht unter Herzog Wilhelm von Jülich im Jahre 1360 läßt eindeutig erkennen, daß der Kölner Kurfürst die Belange des Johann von
Saffenburg und seiner Ehefrau Katharina wahrnahm. In jener Klage ist ausgeführt, daß Johann von Saffenburg zur damaligen Zeit im Dienst des Erzbischofs stand. Eine Rolle bei der Willensbildung des Kurfürsten mag auch der Gedanke der Lehnstreue gespielt haben. Bereits am 13. Juni 1248 hatte Graf Gerhard von Neuenahr versprochen, die Lehnstreue gegenüber dem Erzstift Köln zu halten. Am 15. Juni 1276 hatte die Gräfin Hadwig von Neuenahr die Grafschaft an den Kölner Erzbischof für vier Jahre in der Erwartung verpfändet, daß Land und Leute durch den Erzbischof von Köln geschützt und verteidigt werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch grundsätzlich zu bemerken, daß die Burg Neuenahr und die Grafschaft der Lehnsherrschaft des Herzogs von Jülich unterstanden. Schließlich kann aber bei den Motiven des Kölner Erzbischofs zur Zerstörung der Burg Neuenahr nicht übersehen werden, daß zu diesem Schritt ein großes Eigeninteresse des Kölner Landesherrn vorlag. Wie aus einer späteren Urkunde vom 22. Januar 1382 hervorgeht, war dem Kölner Erzstift durch die von der Burg ausgehenden Plünderungen und Gewalttaten ein Gesamtschaden. von mehr als 50 000 Gulden entstanden, für die damaligen Zeitverhältnisse ausreichend Grund genug, diesem Treiben der Raubritter mit Waffengewalt ein Ende zu bereiten.
In mehreren Beschreibungen heißt es, die Burg Neuenahr sei im Jahre 1371 zerstört worden. Aufgrund der Kölner Stadtrechnungen von Mai bis September 1372 steht indes fest, daß die Belagerung, Eroberung und Zerstörung der Burg unter dem Kölner Bischof Friedrich von Saarwerden im Sommer 1372 erfolgt sind. In diesen Rechnungen sind haushaltsmäßig die Geldbeträge verbucht, die in diesem Zeitraum für die Überbringer der Nachrichten von der Burg Neuenahr, für die Bogenschützen, für die Feuerpfeile, für Pech und Pfeile, für zu Schaden gekommene Pferde und für Karrenführer von der Stadt Köln verausgabt worden sind. Zum anderen steht fest, daß die Ahrweiler Schützen sich an der Belagerung der Burg beteiligt haben. In einer Urkunde vom 9. Dezember 1377 bestätigt der Kölner Erzbischof den Ahrweiler Bürgern die früheren Freiheiten und Rechte „vor allem wegen ihrer fortgesetzten und für sie kostspieligen Mithilfe hei der Belagerung und Zerstörung der Burg Nuwenahr". Da die Burg Neuenahr im Gegensatz zu den anderen befestigten Anlagen des Ahrtals bereits zu einer sehr frühen Zeit zerstört wurde, fragt es sich, aus welchem Grunde es nie mehr zu einem Wiederaufbau der günstig gelegenen Burg gekommen ist. Die Antwort findet sich in der bereits genannten Urkunde vom 22. Januar 1382. In dieser wird die Einigung zwischen Erzbischof Friedrich von Köln und Johann von Saffenburg und seiner Ehefrau Katharina mitgeteilt, daß der Burgberg Neuenahr nie mehr eine Burg tragen darf, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, daß das von diesem Berg ausgegangene Raubrittertum endgültig seine Beseitigung finden sollte.
Mit vorstehenden Ausführungen ist die Geschichte der Burg Neuenahr bei weitem nicht ausgeschöpft. Es dürfte aber ein Rahmen abgesteckt sein, der es ermöglicht, viele der noch nicht behandelten Einzelfragen einer näheren Prüfung zu unterziehen.