Franz Liszt auf Nonnenwerth

Aus dem Tagebuch von Frau v. Cordier vom Jahre 1841

Es war am 4. August 1841, als spät abends eine Dame eintraf, welche erst am anderen Tag Auskunft geben wollte. Des Nachts langte ein Herr an, der nach der Dame fragte. Beide machten einen distinguierten Eindruck. Ob des mysteriösen Besuchs ist man nicht wenig gespannt. 6. August: Aber die Herrschaften thaten ihrerseits nichts, diese Spannung zu lösen. Man „hatte Zahnweh", unterließ eine geplante Dampfertour und blieb in den eigenen Wänden. Das mysteriöse Paar waren George Sand und Franz Liszt. Wir lauschten seinem Spiel auf meinem alten Rumpelkasten, und immer mehr wurde der Wunsch nach einem neuen Instrument in mir rege.

8. August: Der brillanteste Tag! Außer verschiedenen Liedertafeln eine Unmenge Gäste! Die Mittagstafel wäf nun durch den Besuch des gefeierten Künstlers belebt. Vor- und nachmittags kamen zahllose Züge und Kähne voll Menschen. Das ganze Eiland voller Gäste, der Garten prangte infolge aller brillanten Toiletten wie ein einziges buntes Blumenbeet. Am Tisch, dem ich heute gern präsentierte, eine außerordentlich interessante Unterhaltung mit Liszt, und nahm dessen liebenswürdiges Wesen alle im Sturme ein. Das herrlichste, wunderbarste Wetter ermunterte zu einer Dampfertour, die abends in größerer Gesellschaft und mit Liszt unternommen wurde und dem Tag einen angenehmen Abschluß gab.

9. August: Liszt hatte einen Gast. Ich war unentschlossen, ob ich mein Privatinstrument, meinen -großen wertvollen Flügel, in den Saal stellen soll. Ich that es endlich doch, und musizierten wir erst selbst; als Liszt, den Frau Hof rat von Faber (Privatgast und Freundin der Eigentümerin Nonnenwerths) verständigt hatte, erschien und sich an dem Instrument niederließ. Der Saal begann sich zu füllen, und Liszt spielte anfangs wie rasend auf dem armen „Lamm" herumhämmernd, endlich aber, und nachdem George Sand eingetreten war, hinreißend, herrlich! Er hatte uns alle in seinen Bann gezogen, in dem wir der Außenwelt nicht achteten. — Abends teilte mir Liszt mit, daß er beabsichtige, vier Wochen mein Gast sein zu wollen. Lange blieben wir noch im Saal zusammen, und der Tag endete zur Zufriedenheit aller. 10. August: Heute wurde das Konzert in Bonn besprochen, ebenso ein zweites, welches Liszt in Köln geben wollte. Auguste (später Mutter Angela, Franziskanerin) kam aufgeregt aus dem Konzert von Bonn zurück. Sie verweigerte jede Nahrung und war so voll Begeisterung, daß ich für ihre zarte Gesundheit fürchtete. Sie war entzückt von Liszts Erfolg, und ist das Konzert in jeder Beziehung ein äußerst gelungenes gewesen. — Zugleich erfuhr ich leider auch, daß unser Nachbar vis ä vis (Groyen) alle Hebel in Bewegung setzte, um den Gefeierten zu entführen. Das erregte mich, und den einzigen Ersatz konnte mir das Bewußtsein bieten, mein armes Instrument, das von einem Raum in den ändern geschleppt wurde . . . leidlich gerettet zu sehen.

Mein Sohn Emil machte mir Vorwürfe und verwies auf die Sonderlichkeit des gegenseitigen Verhältnisses beider berühmten Gäste. 13. August: Ein Tag des Herumrennens und der Aufregung, Angst des Pächters, und dies alles wegen der noch offenen Frage des Bleibens oder Abschieds des berühmten Künstlers. . . Inzwischen weilt der bezeichnete Künstler auf Nr. 3, zerhämmert mein neues Instrument, hat in seinem Zimmer die einzig richtiggehende Uhr, einen Teil meiner liebsten Bücher und, o Himmel, meinen mir liebsten, bequemsten Schreibtisch von Nr. 6 .Noch ist nicht bestimmt, ob er uns verläßt oder bleibt, und ist die Unruhe, in die Liszt dadurch das ganze Haus versetzt, auch rückwirkend auf mein Privatheim, aus dem die Meinen hmausstreben, seitdem der Große hier ist.

14. August: Wir speisen alle privatim unten, während das Spiel Liszts über uns theils beruhigend, theils beunruhigend accompagnierte. Unter seinem Einfluß beschlossen wir, zu dreien das Konzert in Köln zu besuchen, den dort weilenden Sohn Alfred ebenfalls dazu aufzufordern (A. v. Cordier, damals Fähnrich im Ingenieur-corps, später Major a. D. in Mainz, 1885 gestorben). Nachmittags war wieder des Jubels und Trubels kein Ende. Bewimpelte Kähne der Bonner Musensöhne en masse. Im großen Saal ward gespielt und getanzt, als wir ankamen. Alles im vollen Enthusiasmus! Der Hauptmoment hätte bereits stattgefunden. Die jungen Damen hatten Liszts Stube mit Blumen und Laub geschmückt, ihm Vivat zugerufen. Er spielte ihnen vor und hat dann sogar im großen Saal mit ihnen „Blindekuh" gespielt! — Ich sprach längere Zeit mit George Sand, und es gefiel mir, was und wie sie sprach. Ihre Ausdrucksweise ist vornehm und klar. Es freut mich nebenbei, daß sie von meinem „Paradies", wie sie es nannte, entzückt war, daß sie länger bleiben wollte und daß trotz aller Unruhe, die der gefeierte Künstler hervorrief, sie „hinlänglich Muße" für sich fände! — Mein Sohn Emil, von Franz Liszts "Wesen. . . völlig eingenommen, setzte mit ihm eine Anzahl Notizen und Anzeigen auf, die in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht werden sollten. Ich meinerseits beauftragte den Pächter, für Verdoppelung der Bedienung Sorge zu tragen. Es ist merkwürdig, wie die Anwesenheit eines einzigen, so bedeutsamen Menschen alles bis dahin Bestandene auf den Kopf zu stellen vermag! Vor Abreise des corpus delicti wird schwerlich die alte Ruhe in unsere friedlichen Mauern einkehren. Liszt elektrisiert alle, die mit ihm in Berührung kommen. Er ist mehr als das Gegenteil von „schön", allein sein Auge durchleuchtet von innerer Gluth, die sein ganzes Wesen ausströmt!

16. August: Das Paar ist in Köln. Kommt abends zurück. Das Concert ist verschoben worden, weil morgen die (Bonner) „Harmonie" hier sein soll.. . Unser Nachbar (Groyen) thut sein Möglichstes, Liszt in sein Hotel zu bekommen. — Eine Fremde hatte sich angesagt, und drehte sich heute die Conversation um das Thema „Wer" und „Woher". Man nennt sie die „Geheimnisvolle". Aber das Geheimnis muß sich wohl noch erfüllen! '

21. August: Die besprochene Dame hat mich besucht, mich nicht angetroffen. Bei meinem Besuch daraufhin haben wir uns wieder verfehlt — heute sind wir zu der Geheimnisvollen zu Tisch geladen. Die Spannung wegen morgen (Sonntag) dauert fort, denn das Wetter ist miserabel und würde uns das ganze Fest verderben. Liszt, der auswärts war, wird erwartet, für die Musik, Feuerwerk und Böller!

22. August: „All is over!" und wie! Eine brillantere lautere Feier für unseren Maestro konnte nicht erwartet werden! Ich will versuchen, der Ordnung nach zu recapitulieren, vom Endes des Samstags ab:

Während des Diners kam die Dame und Musik. Im Freien war auf meine "Anordnung hin das Mahl vorbereitet... Emil, Auguste und ich saßen meiner Erkältung wegen etwas abseits und ergötzten uns an der Festesfreude sowie an Musik und Liszts strahlendem, sonnigem Wesen Der Himmel schien so heiter und blau, die Luft war so mild und klar, alle geschmückt und froher Laune! Unwillkürlich wurcje ich an den dritten Akt des Don Jüan erinnert! Aus dem großen Saal, wo wir mit anderen später weilten, ließ Liszt uns zu sich bitten, um uns vorspielen zu dürfen. George Sand war aufgeregten Wesens und benahm sich ihrer uns bekannten Art entgegen, wie eine gereizte Theaterdirne en mauvaise. humeur, was ignoriert wurde. Und nun begann sein Spiel! Oh, der herrliche Gottbegnadete! Was andere in ihrer Phantasie nur geahnt, er drückt es aus in eigenem Selbstvergessen. Wir alle waren hingerissen, und es ergriff mich seltsam und bedrückte mich, nach kurzem Träumen, nach Aufhören seines Spiels, mich in die prosaische Welt zurückversetzt zu sehen! — In der Nacht ward es, außer dem Ständchen, noch stürmisch im Haus, durch die Engländer, die wie viele andere auch, Liszts Spuren gefolgt waren.

23. August (Sonntag): Kaum daß wir am Morgen die Toilette beendet hatten, näherte sich das bewimpelte Schiff, legte an der Honnefer Seite an, und im Nu war das Eiland bevölkert; Kirche samt Chor überfüllt. Andere hatten schon den Turm bestiegen; der Rest blieb vor der Kirche im Garten. Und nun begann der Liedertafel herrlicher Gesang, der etwa eine Stunde dauerte. — Währenddessen wiederholte Einschiffung und ein Menge beflaggter Kähne, alles voller Gäste, die den Meister zu sehen und zu hören begehrten. Viele zogen auf kurze Zeit zu einer Promenade zum jenseitigen Ufer, allein alle kehrten wieder voller Erwartung zurück und wurden durch Liszts wundervolles Spiel vollauf befriedigt. Heute wurde oben im Saal gespeist. Ich zählte etwa 80 Gedecke. Während des Diners hatten wir sehr gute Musik. — Nachmittags war der Tumult und Trubel so groß, daß wir uns nach kurzer Ruhe sehnten. Währenddessen füllte es sich immer mehr auf meiner Insel. Meine Kinder und ich fuhren ans andere Ufer und konnten, mit guten Gläsern bewaffnet, von Rolandseck aus alle Vorgänge auf Nonnenwerth genau beobachten. Die Schiffe hatten meist zwei bis drei Flaggen, und mit einem Schiff kamen auch unsere eigenen, von uns privat im geladenen Gäste. Mit Mühe und Noth eroberten wir einen sicheren Platz, von dem aus wir unbehindert uns der allgemeinen Festfreude anschließen konnten. Liszt gesellte sich zu uns, und kaum hatten wir dem Gefeierten einen Ehrenplatz angewiesen, als ein neu ankommender Dampfer mit Musik wiederum eine Fluth von Gästen brachte. Unter klingendem Spiel bildete sich eine endlose Colonne, die unseren Platz schließend und umziehend ihre Ovation brachte. Liszt war sichtlich gehoben und gerührt und konnte es auch sein! Die stürmischen Hochrufe und Vivats nahmen kein Ende. Der Meister dankte mit bewegten Worten und versicherte mir wiederholt, daß er die Tage auf meinem kleinen „Paradies" nie vergessen werde! — Als es zum Abend ging, glich die Auffahrt des Eilands einem bedeutenden Hafenplatz. Soweit das Auge schaute, sah man nichts wie Schiffe, Kähne und Nachen! Es war ruhiger geworden, da nur noch die Liedertafel und ein kleiner Theil der früheren Gäste geblieben war. Gar bald strömten alle wieder nach Kirche und Chor. O Himmel! Statt des Harmoniums von vorhin stand mein armes, geduldiges Instrument da! Liszt und die Sänger ringsum. Erst spielte er allein, dann accompagnierte er zum Gesang, daß die Saiten des Klaviers dröhnten und klirrten. Er aber saß mit himmelwärts gerichteten verklärten Blicken und schien der Erde entrückt, weit, weit in die Zukunft zu schauen! — Der Abschied war herzlich, den Liszt von seinen Verehrern nahm; dann aber zogen wir uns zurück und überließen den Künstler und seine Verehrer sich selbst.

24. August: Besprechung des Collier Conzerts! Liszt spielte heute wieder auf dem Chor der Kirche und begleitete Auguste zum Gesang, der ihm, wie er sagte, wohl that und ihn beruhigte. Guste sagte mir nachher, sie habe nicht wenig Angst gehabt, und das Gefühl, vor Liszt zu singen, habe ihr fast die Kehle zugeschnürt, bis sie, von seinem Spiel hingerissen, nichts mehr empfand als das Bedürfnis, ihre Stimme seinen Tönen anzuschließen. Nachher hatte sie das Bewußtsein, besser als je gesungen zu haben.

26. August: George Sand läßt ihr Gepäck holen und das von Franz Liszt. . . Man teilt mir nachträglich mit, daß Liszt sich ein eigenes werthvolles Instrument bestellt habe, aber ein gleiches vorfindend, die bereits gegebene Ordre zurückgezogen habe. — Als ich den Meister zuerst spielen sah, hatte ich den Eindruck, als ob zwei gewaltige Spinnen über die Tasten glitten. Später dachte ich nie wieder daran, man lernte eben Liszt als Mensch kennen und als Künstler verehren. Die Göttlichkeit in seiner genialen Kunst verklärt den Menschen, der darin aufgeht. 29. August: Liszt bleibt, auf Nonnenwerth. George Sand ist allein abgereist. Ist es unrecht, daß ich mich so von Herzen über sein Bleiben freue? Die mysteriöse Dame, die für kurze Zeit wieder Nonnenwerth verlassen hatte, ist zurückgekehrt. Mit dem Rang und dem Reichtum soll es seine Richtigkeit haben, auch kann sich nur eine Dame von hoher Geburt wie sie benehmen.

2. Oktober: (es folgt inzwischen eine Reise der Besitzerin zu ihrer Familie; nach der Rückkehr wird das Tagebuch wieder aufgenommen.) Besichtigung meines Heimes. Ich erhalte Mittheilung von der Anwesenheit Liszts und der „Contessa". (Gräfin Maria d'Agoult, der langjährigen Gefährtin Liszts). Nach Conferenz mit dem Pächter erhielt ich eine Einladung zu Liszt und der Contessa, der wir um 7 Uhr Folge leisteten. Zuerst lag etwas Peinliches in der Conversation, was nach allem, wie die Verhältnisse lagen, begreiflich ist. Aber die beiderseitige Befangenheit wich bald einem aufrichtig herzlichen Ton. Nach dem Souper spielte Liszt wieder himmlisch, und keiner der Zuhörer konnte im gewohnten Geleise bleiben. Auch ich nicht, die sich von jeher durch Musik begeistern ließ.

Kaum hatte der Meister geendet, als auf einmal vor seiner Thür die Bonner „Harmonie" begann. Es war ein wunderbarer Augenblick, da wir uns gemeinschaftlich dem Zauber der Töne hingaben. Liszt ist als Mensch hinreißend in seiner Conversation und verscheucht bei denen, mit denen er spricht, schnell und restlos jede künstliche Zurückhaltung, so daß sich in Wirklichkeit das Harmonische seiner hehren genialen Kunst auch auf den Menschen überträgt und von ihm auf seine Umgebung ausstrahlt...

3. Oktober: Endlich soll das längst geplante Conzert Liszts in Köln stattfinden. Wir saßen beim Diner, aber meiner Unpäßlichkeit wegen nehmen wir etwas entfernt vom Meister und der Contessa Platz.

Liszt hatte die Aufmerksamkeit, sich nach meinem Befinden zu erkundigen in herzlicher Weise, schickte mir Champagner und erwiderten wir sein Zutrinken. Die Loge, die er mir und den Meinen, als seinen Freunden, in liebenswürdiger Disposition gestellt hatte, glaubten wir dankend ablehnen zu müssen — sie anderen Verehrern überlassend. Für uns und die von uns geladenen Gäste bestellten wir dann auf eigene Kosten zwei Logen . . . Am Tage der Besprechung waren wir noch lange plaudernd zusammen. Die Contessa, die bereits früher erwähnten Engländer und wir. Sogar Emil (gestorben 1892 als Pastor von Unkelbach), der zu Anfang der Contessa gegenüber finster und mißlaunisch sich erwies, thaute auf, ward der liebenswürdigste Gesellschafter und radebrechte sein Französisch zu meinem stillen Entzücken.

9. Oktober, mittags: Das Conzert entsprach nicht ganz den gehegten Erwartungen. Komischer Auftritt mit dem Violinspieler! Die wirklich rührende Anteilnahme an einem „Wunderkind", dem kleinen Louis Lüstner, dem er eine große Zukunft prophezeite und ihm wie einem Mitbegnadeten einen Kuß auf die Stirn drückte. Ich selbst, mit den Meinen, war der Begeisterung voll! Mittwoch trafen wir mit Liszt und der Contessa wieder auf Nonnenwerth ein. 15. Oktober: Heute besuchte uns die liebliche Contessa und promenierte ich längere Zeit mit ihr. Sie hat eine reizende, wundervolle Gestalt und ein zu anmuthiges Wesen. Doch liegt etwas Antipathisches zwischen uns, über dessen Grund ich nachsinne. Ich verstehe, daß Liszt in ihr seinen guten Geist, seinen Genius sieht und verehrt, daß ohne ihre Liebe, der in der Vollkraft des Lebens Stehende (damals 30jährig), leicht sich von der Höhe seines Strebens könnte abwendig machen lassen. Ich denke an George Sand — und vergleiche sie mit der Contessa, dieser Lieblichsten der Lieblichen, und bin ihr gut, weil sie mich dazu zwingt.

19. Oktober: Spohr ist angekommen! (Berühmter Musiker und Freund Liszts). Mit ihm, Liszt und der Contessa waren wir oft zusammen. Aber in die Sphären zu folgen, die beide so bedeutende Künstler verbindet, wenn sie in ihrer Kunst aufgingen, davon redeten, dies vermöchten wir nicht. Gar oft hörten wir drei Frauen zu und fühlten uns froh, nur lauschen zu dürfen den Reden! Aber noch mehr dem Spiel des Einen oder Anderen.

20. Oktober: Von diesem Tag weiß ich wenig. Die Contessa war auf Nonnenwerth, indes Liszt mit Spohr eine Dampfertour unternommen hatte. Abends waren alle bei uns in der Privatwohnung, wo man wieder den Tönen lauschte und für kurze Zeit der Erde entrückt blieb. Es war herrlich, allein die bereits ziemlich mitgenommenen Saiten hatten nicht alle mehr den wunderbaren Klang wie ehedem. Die manchmal stockenden Töne schnitten mir durch die Seele, und ein kleines Equivalent gewährte Liszts Äußerung: „Bei mir und den Meinen gemahne so wenig an die prosaische Seite des Lebens, daß man wie auf Flügeln gehoben ins Reich der Phantasie getragen werde ..." Ich glaube; er merkte, was ich gedacht hatte, und mit seinem feinen Takt wollte er mir den Abend lieb machen. So freuten mich denn seine vornehme Absicht und seine gütigen Worte.

21. Oktober: Wir hatten beschlossen, zu Ehren Liszts einen Baum zu pflanzen, den er in die Erde setzen sollte, und beschäftigte das bevorstehende Fest alle Betheiligten, die Gäste und uns.

22. Oktober (Liszts Geburtstag!): Des Festes Vorbereitung! Liszts Stuhl war mit Laub umwunden, eine Menge Guirlanden schmückten den Festsaal und die Tafel. Alles war auf Emils Stube gearbeitet worden, und ich glaube, daß ich mich beim Helfen, das kalte, feuchte Laub zu winden, verdorben habe. So traurig ich war, der Feier nicht beiwohnen zu können, ich war gezwungen, fern zu bleiben und Auguste meinen Platz an Liszts Seite zu überlassen. Spohr war bereits abgereist.

Kloster Nonnenwerth
Foto: Kreisarchiv Freigegeben unter Nr. 459-3 Bezirksregierung für ßheinhessen

Festlich geschmückt zogen alle nach Nr. 6, und eine halbe Stunde später bezeichneten Böllerschießen und Tafelgeräusch den Eintritt des Gefeierten und Beginn des Festes. Ich aber unter Fieberhitze und heftigen Schmerzen betete freudig für des Begnadeten Glück! Fünf bis

sechs Toaste wurden ausgebracht, wie Guste es mir berichtete, die voll Enthusiasmus in ihrer jungen Würde präsidierte.

Nachdem das Festmahl vorüber war, führte Liszt Augusten und mit ihr alle Anwesenden in den Garten zur Pflanzung des Bäumchens, welches als stetiges Denkmal seines hiesigen Aufenthaltes wachsen sollte und gen Himmel ragend, ein Symbol seines Genius darstellen sollte. (Die große Platane steht heute noch vor der Westfront.) Innig freute ich mich über das, was Auguste mir nachher über Liszts anerkennende Worte sagte. Auch Emil, der die Contessa führte, war helle Begeisterung und anbetungswürdig. — Der Abend wurde im Billardsaal, da noch viele Gäste anwesend waren, mit Spiel und Tanz beschlossen.

24. Oktober: Liszt hatte sich mehrfach nach mir erkundigen lassen, heute erschien er selbst bei mir und versicherte mich, längere Zeit verweilend, wie sehr er mich bei der ihn so tief rührenden Feier entbehrt'habe. Seine Worte sind mir wohltuend und kommen aus einem Herzen, das nur wahr und aufrichtig immer nur das Edle will. Die Contessa ist fast täglich einmal bei mir. Der letzte Rest des Vorurtheils gegen sie wurde besiegt durch ihre grenzenlose Güte, Herzensgute, und ihre wahre vornehme Gesinnung, die sich in allem offenbart.

25. Oktober: Es war von der Contessa Abreise die Rede, und ich glaube, daß ihre diesbezüglichen Dispositionen getroffen sind. Auch beginnt es kalt zu werden. Des Meisters Ungeduld, in die strömende Welt zurückzukehren aus dem Frieden, der Erholung auf diesem Eiland, ist eine zu verständliche. So nehme ich an, daß der Meister seine Pläne ebenfalls fertig hat.

In der That verließ sehr bald nach der Abreise der von ihm verehrten Frau auch Liszt die Insel. Liszt verbrachte auch die Sommermonate der Jahre 1842 und 1843 auf der Insel, ja, er trug sich mit dem Gedanken, sie zu kaufen. Den Plan gab er jedoch wegen der großen Unterhaltungskosten der Insel auf. In seiner Begleitung befanden sich diesmal auch seine beiden Töchter Cosima (die spätere Gattin Richard Wagners) und Amanda, der Fürst Lichnowsky und ein ganzer Schwärm von Verehrern. Während seines Aufenthaltes entstanden hier seine ersten Männerchöre, Entwürfe zu seinen großen Instrumentalwerken und die Elegia „Nonnenwerth" für Violine und Klavier, die 1886 in Rom unter seiner Leitung aus dem noch ungedruckten Manuskript aufgeführt wurde.

Er vertonte auch das Gedicht, das der Priester-Dichter Smeets bei seinem Abschied von Nonnenwerth niederschrieb.

Das Inselland

Umrauscht von grüner Welle,
da Hegt ein Inselland,
das ist die liebe Stelle,
die hält mich festgebannt.
Der treuen Liebe Sage
tönt noch vom Ufer nach,
und Nachtigallenklage
ruft sanfte Wehmut wach.
Wo einst im stillen Kreise
die Braut des Himmels sang,
da schwebt noch ernst und-leise
ein heil'ger Orgelklang.
Und unter mächt'gen Bäumen,
an die der Efeu rankt,
das Herz wie zwischen Träumen
und Wirklichkeiten schwankt.
Oh, daß mir hier nicht immer
die Maiensonne lacht,
und nicht des Mondes Schimmer
verklärt die Sommernacht.
Denn auch, die grüne Welle
trägt mich vom Inselland;
ade, du liebste Stelle
die je mein Herz gekannt!

Wilhelm Smeets 1844 beim Abschied von Nonnenwerth