Nürburg —Krone der Eifel —Vergangenheit und Gegenwart

VON WERNER BORNHEIM GEN. SCHILLING

Der Mons nore, der schwarze Berg — so wohl nach seinem schwarzen Basaltgestein genannt — begrenzte schon mit der benachbarten Hohen Acht im 9. Jahrhundert den Zehntbesitz der Abtei Münstermaifeld. Auch in der Mitte des 10. Jahrhunderts erscheint der Berg als Landmarke, aufragend zwischen der Hohen Acht und dem Kelberg. Zweihundertjahre später um 1150 bis 1160, wurde dort oben die höchstgelegene Burg der Eifel — fast siebenhundert Meter hoch — erbaut.

1166 erscheint sie als vollendet. In diesem Jahr verlieh der Erzbischof von Köln, Reinald von Dassel, dem Propst von Bonn, Gerhard von Are, dessen Bruder Graf Theoderich von Hochstaden besondere Rechte für die von ihrer Familie errichtete Burg. Erzbischof Reinald war der machtvolle Kanzler Kaiser Friedrichs I. Barbarossa; die Burg sollte so auch ein Stützpunkt der Reichspolitik sein. Propst Gerhard wirkte am Bonner Münster als Bauherr. Die Brüder Are standen durch ihre Mutter aus der Familie der Grafen von Rheineck in verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Weifen, den Gegnern der Hohenstaufen. Sie hatten am Rhein eine politische Schlüsselstellung inne und tendierten stark nach Köln hin.

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So setzte gleich zu Beginn der Geschichte dieser Burg ein Hin und Her zwischen Familiengut, Reichs- und Kaiserrecht sowie erzbischöflich kölnischer Mitsprache ein, in das 1193 auch König Heinrich VI. eingriff. Dem Erzbischof von Trier saß die Burg wohl wie ein Pfahl im Fleische. Ihrem Typ nach war sie eine stolze Gipfelburg, keine Hangburg, wie man sie seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als immer gebräuchlicher bevorzugte. Der Blick schweift von dort weit ins Land bis hinein zur Arenburg übet die Ahr, wo der treue, kölnisch gesinnte Vetter saß. In einem solchen Familienkreis wußten sich die Nürburger Herren sicher geborgen.

Den Baukern des 12. Jahrhunderts und 'der Barbarossazeit verrät heute noch die rechteckige Grundform der Gipfelbebauung. An ihrer höchsten Stelle blieb der Rest des ältesten Wohnbaues erhalten — tonnengewölbte, kleinere Räume, aus Tuffstein errichtet, dem damals beliebtesten Baustoff, den man vom Eifelrand herholte.

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Gerhard von Nürburg, auch Graf von Are, der 1222 starb, heiratete eine Frau mit dem Vornamen Antigone — die klassische Antike beeindruckte schon damals diese Gesellschaftsschicht. Gerhards Sohn Johann, der 1269 zum letzten Male urkundete, war auch der letzte der Familie, der diesen Namen trug. Sein Vetter, Konrad von Are-Hochstaden, sorgte als Erzbischof von Köln, daß die Burg ganz an sein Erzbistum fiel. 1254 wurde das durch einen Hilfevertrag praktisch entschieden. Erzbischof Konrad war seiner Familie gegenüber anscheinend skeptisch. Er begann übrigens 1248 mit dem Bau des Kölner Doms als einer der führenden Bauherren seiner Epoche überhaupt, und das kam auch der Nürburg zugute. Auch gab er 1248 Ahrweiler die Stadtrechte.

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Dort spürte man seinen Einfluß beim Bergfried. Dieser wurde um 1240 nordwestlich des ältesten Wohnbaues errichtet. Nach dem Vorbild des Godesburger Bergfrieds erstand er als ein stattlicher runder Turm, heute noch 39 Meter hoch. Er hatte vier Geschosse. Über dem untersten, das als Verlies diente, gibt es heute noch einen gewölbten Raum mit den Spuren des offenen Kamins und reichverzierten Gewölbekonsolen. Der Turm besaß französische Vorbilder, so in Paris und Coucy; das Pariser Vorbild ging längst unter, das zu Coucy wurde schwer beschädigt. Der Nürburger Bergfried muß als einer der fortschrittlichsten seiner Zeit in Deutschland bezeichnet werden.

Nürburg
Foto: Kreisarchiv Freigegeben unter Nr. 377-3 Bezirksregierung für Rheinhessen

Ähnlich der Godesburg errichtete man in der untersten Vorburg, am Eingang zum Burgbereich, eine Kirche, die bereits 1202 urkundlich erscheint, sowie ein zweites Gotteshaus im Dorf selbst, das dem heiligen Nikolaus geweiht ist. Die Vorburgkirche konnte man vor kurzem aus einer Trümmerfülle befreien. 1224 schenkte die Familie der Nürburger Herren dem Ritterorden der Johanniter die Kirche zu Adenau. Dieser weltweite Orden zog nun unter dem Schutz der Burgherren auch in die stille Eifel ein. Nach dem Tode Johannes und seines Sohnes Cunzo konzentrierte sich die Familie auf ihre neue Burg Neuenahr, nahe dem Stammsitz

Altenahr. Auf der Nürburg zogen jetzt andere Lehnsträger ein, darunter 1272 ein Vasall des schlauen Grafen von Jülich, der damals seinen Einfluß weit in die Eifel hinein verbreitete.

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Schließlich wurde die Burg Sitz kurkölnischer Amtmänner, also ein Verwaltungsmittelpunkt. Man erweiterte sie. Südöstlich des Bergfrieds entstand ein Wohnhaus, das einen Erker hatte, dessen Unterbau zum Teil erhalten blieb. Auch nordwestlich des Bergfrieds bauten sich die Nürburger einen langgestreckten Wohntrakt. Es lebten dort zeitweise mehrere ritterliche Familien nebeneinander. Die von Braunsberg, von Schöneck, von Gymnich und von Nesselrode zählen dazu. Den Zugang verstärkte man durch ein weiteres Tor vor der Hauptburg. Wenn man die unterste Vorburg mit der Kapelle passiert hat, sieht man dessen Unterbau heute noch. links von diesem zweiten Tor liegt, heute ver-schüttet, ein Ziehbrunnen, der nicht der ein-ngc gewesen sein wird. Er diente wohl einem Burghaus, das nur in einigen Mauerresten «halten blieb, und das sich unmittelbar an den eben genannten Torturm anschloß. Nach diesem zweiten Tor folgt ein drittes. Ja erscheint heute als Doppeltor mit zwei nebeneinanderliegenden Spitzbogendurchgängen, zweifellos eine falsche Rekonstruktion. Das Doppeltor führt in den nördlichen Zwinger. Sechs fast runde Türme sichern noch heute diesen Mauerring, der sich um die ganze Kernburg legt — eine Verteidigungsschlucht, die für den Eindringling leicht zur Falle werden konnte. Die Errichtung des Zwingergürtels um die Kemburg war die wesentlichste Tat der Spätgotik des 15. Jahrhunderts. Solche Bauwerke setzten sich am Rhein, einer Hauptader der Kultur, erst langsam seit dem 14. Jahrhundert durch. Das Prinzip hatten die Kreuzritter im Orient kennengelernt.

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Die Zwingeranlage der Nürburg zählt mit zu den bedeutendsten ihrer Art unter den deutschen Burgen überhaupt, zumal sie noch als geschlossene Anlage wirkt. Die drei Türme des nördlichen Teils erheben sich als sogenannte Schalentürme auf fast rundem Grundriß; ein Eckturm nach Nordwesten ist stämmiger und durch Mauern mit der eigentlichen, höhergelegenen Kemburg verbunden. Von seiner Höhe herab konnte man den womöglich in den Zwinger eingedrungenen Feind beschießen. Zwei Türme der drei übrigen des südlichen Zwingers waren, wie aus Kaminresten hervorgeht, bewohnbar. Sie erinnern darin an die Zwingertürme der heute in Luxemburg liegenden Burg Bourscheid. Die südliche Zwingermauer erhielt, wohl erst später, 'eine Schlupfpforte, durch die ein Pfad direkt zur Kapelle hinab führte, wie hinauf zum Bergfriedfuß eine Treppe.

Wohl im 14. Jahrhundert schuf man ein neues drittes Tor zur Kernburg, um diese auch aus dem Bereich des nördlichen Zwingers erreichen zu können. Man verschloß deshalb einen älteren Zugang in der Mauerflucht westlich des neuen Tors, indem man eine starke Stützmauer hochführte. Darunter blieb der massive Stein der älteren Torschwelle erhalten. Die Burg wirkte so um 1500 zweifellos stattlich und beherrschend. Reste von roten Sandsteinteilen, die Fenstergewände bildeten, zeigen noch etwas von dieser Bauepoche. Damals scheint die Familie der Kessel von der Nürburg dort oben sehr rührig gewesen zu sein. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sorgte man sich noch besonders um den Zustand von Backhaus, Fleischhaus, Brauhaus, Pferde- und Kuhställen auf der Burg. Die Feuerstelle eines offenen Kamins, dessen Reste nahe dem Bergfried erkennbar sind, mißt vier Meter, wie es z. B. der Saalbau auf der Kesselburg bei Gereistem wiederholt; auf der Nürburg scheint es sich dabei um den Küchenbau gehandelt zu haben. Das verrät eine intensive Wirtschaft und Lebensführung.

Seit dem 16. Jahrhundert mehren sich jedoch die Nachrichten vom Verfall der Burg. Dem Zeitalter der Feuerwaffen und schweren Geschütze wollte sie sich nicht fügen. Man findet bei ihr keinerlei ernsthafte entsprechende bauliche Vorkehrungen dagegen, wie andere Burgen sie damals häufig trafen. Die grandiose, herrscherliche Lage, ihr Triumph über die Landschaft zu ' ihren Füßen, das wurde ihr nun zum Verhängnis. Der Bergfried, dem der Wind das Dach weggerissen hatte und dessen Gewölbe eingestürzt waren, wurde zwar wieder hergerichtet und anscheinend mit Blei gedeckt sowie innen und außen neu verputzt. Aber 1587 plünderten niederländische Soldaten die Burg, die sie überrumpelt hatten. Der Verfall schritt rasch fort, und die Stürme rüttelten an den sich ausbreitenden Ruinen. 1689 zerstörten französische Truppen die bereits fast vergessene, vernachlässigte Burg; sie war damals im Besitz der Familie von Arenberg, deren Energien sich immer mehr nach Holland verlagerten. In der Mitte des 18. Jahrhunderts verzeichnete man die Unbenutzbarkeit des Bergfrieds, der noch kurz zuvor als Gefängnis gedient hatte. Die letzten Bewohner verließen die Anlage, die dann als Steinbruch genutzt wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschwand die ganze Vorburg. Der Botenturm, der Hahnturm stürzten ein. Fünf Tore verfielen schnell, die Zwingermauern sanken um.

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Im Jahre 1815 gelangte die Nürburg in preußischen Staatsbesitz. 1818 begann man den Bergfried wieder herzurichten, weil er als trigonometrischer Punkt für die optische Telegrafie Bedeutung erlangte. So verwandelte sich die alte Funktion des „Grauen Turmes", von dem man bis weit ins Kölnische hinein wie hin zur Mosel signalisieren konnte, in eine damals höchst moderne.

Aber erst 1864 gab man dem Bergfried seine Gewölbe wieder und dazu eine obere Plattform. 1872 kam die innere Wendeltreppe hinzu, und nun entdeckten die Wanderer den überwältigenden Blick von oben. 1878 restaurierte man das Tor zum Zwinger zu einem Doppeltor und fügte das Löwenwappen Johanns von Nürburg, mit dem er 1254 siegelte, darüber ein. Das eigentliche Wappentier seiner Familie war ein Adler, doch führte Johann bewußt das Löwenwappen seiner mütterlichen Vorfahren, der Herzöge aus der Familie Liniburg. Gleichzeitig begann man um 1880 mit Sicherungsarbeiten an einigen äußeren Zwingertürmen der Süd- und Westseite, freilich zum Teil unter nicht glücklichen Veränderungen. Man machte damals Kaminschächte auf der Südseite zu Fenstern. Im Gegensatz zur Nordfront waren die Turmräume der wärmenderen Seite meist bewohnbar. Nach Süden öffnete sich auch der Erker des Hauptwohnhauses, wohl identisch mit der „großen Stube am Saal", wie es 1535 heißt. Nur ein paar Fundamente blieben davon übrig — die Erkerreste erinnern an die auf dem Drachenfels über dem Rhein.

Der Bau des Nürburgringes 1925 bis 1927 orientierte sich zwar mit Recht um die ihm den Namen verleihende Burg, aber dieser selbst kam er nicht zugute. Sie blieb hinter Wällen von Fichten des späten 19. Jahrhunderts versteckt.

Der Staat Rheinland-Pfalz erbte die verschütteten Halden, die Tore und Mauern. Man gliederte die Burg in die, Verwaltung der Staatlichen Schlösser ein, die dem Landeskonservator untersteht. 1948 begann dann mit tatkräftiger, entscheidender Hilfe des Staatlichen Hochbauamtes in Koblenz die Rettung der großartigen, aber verfallenen Anlage. Der Bergfried — der „Graue Turm" — mußte durch Beimauern und Neuverputzen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Die Zwingermauern, an vielen Stellen geborsten, waren aufzurichten und auf gleiche Höhe zu bringen. Zur Gewinnung der am Fuß der Wände liegenden Werksteine wurden die Turmböden, Terrassen und Treppen vom Trümmergeröll freigeschaufelt. . Die Umfassungsmauern der oberen Kernburg mußten gesichert und ergänzt werden. Am Wohnbau der Nordwestseite kamen wieder die Fensteransätze zutage. Die Mauern erforderten eine besondere Bautechnik, so z. B. die innere des nördlichen Zwingers, wo wieder lange Schichten von flachen Schiefersteinen in horizontalen Bändern einzufügen waren, ähnlich wie an der Mayener Stadtmauer.

Auch die Kapelle der Vorburg befreite man nun erst vom Bauschutt. Es kam das Fundament des Altares im noch romanischen Halbkreis des Chores zum Vorschein. Den übrigen Kirchenbau hatte man in der Gotik umgebaut, aber sein Eingang in der Südwand war geblieben, so daß jeder, der den eigentlichen Burgbereich betrat, zunächst an dem Gotteshaus vorbei mußte. Und vor diesem, noch außerhalb des Burgberges, wo heute Gaststätten sind, lag der unerläßliche Wirtschaftshof. So staffelte sich die Anlage auch für den Besucher: Gutshof, Kirche als Schutz des Eingangs, Herrensitz.

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Die Fichten des 19. Jahrhunderts rieben sich in den wilden Herbststürmen an den bröckeligen Mauern. Als man sie vor einigen Jahren fällen mußte, erschien plötzlich wieder die langgestreckte Burg. Jetzt erhalten die sechs Zwingtürme ihre Kegeldächer zurück, damit sie nicht erneut zerfallen. Jedoch kann und soll die Nürburg nicht als Ganzes wiedererstehen. Aber ihre trutzige Erscheinung wird hoch über den Eifelwäldern weithin sichtbar bleiben. Stolz krönt die Nürburg den Berg. Ihr haftet etwas noch an von der Unüberwindbarkeit. Eine weiße Wunderwelt breitet sich aus mit Skiparadies hinter dem. Rücken des Berges. — Besuch hat die Nürburg oft. Zur Sommerszeit war hier der Trierer Weihbischof Carl Schmitt und ließ sich von den ansässigen Confratres die Geschichte der Burg erklären. — Josef Zimmer (f), Mitbürger von Nürburg, hat in mühevoller Arbeit die große Burganlage rekonstruiert. Mächtig war die Anlage, eine kleine Burgstadt mit Reisigen und Gesinde. So kann man sie sich vorstellen in ihrer Blütezeit.