Zur Geschichte des Brezelfestes auf der Landskron
VON WILHELM KNIPPLER
Zum Brezelfest auf der Landskron strömten am Ostermontag 1969 Tausende auf die Bergkuppe. Dank des herrlichen Frühlingswetters glaubte man, Goethes Osterspaziergang aus dem Faust mitzuerleben. Es war eine Bestätigung der Anziehungskraft des uralten Brauchtums unserer Landskron. Ich stellte bei dieser Gelegenheit die Sitte der Sommertagsbrezel heraus und bemerkte, daß es eine schöne Form der deutschen Brezelfeste sei, indem man aus der reichen Fülle des Brezelbrauchtums immer wieder neue Gedanken schöpfen kann, die uns wirklich bis zum heutigen Tag etwas bedeuten. Nun hat Rektor Rausch eine für die Landskron neue Grundidee gefunden, die jeden Freund heimatverbundenen Brauchtums interessieren wird. Sehen wir, ob und wie sie sich einfügt in unsere seitherigen Begriffserklärungen. Ohne Fleiß keinen Preis! Ja, fleißig waren die Chorknaben aus den Dörfern am Fuße der Landskrone, die nicht nur ihre Pfarrkirche, sondern auch in der Burgkapelle der Landskrone den Gottesdienst durch ihren Gesang festlich gestalteten. Hier war wohl ein strenger Fleiß notwendig, damit die Knaben sich die lateinischen Texte und die Gregorianischen Weisen einprägten und nachher frei vortragen konnten. Diese Chorknaben wurden in ihrer Pfarrkirche dadurch entschädigt, daß sie einen gewissen Teil des Meßstipendiums als Lohn erhielten. Die Chorsänger der Landskrone gingen am Pa-tronatsfeste von Papst Gregor L, am 12. März, dem Vater des Gregorianischen Chorgesanges, auf die Landskrone, und sie erhielten dort von dem Burgherrn für ihren Fleiß einen kleinen Preis, ein Preticulum, woraus sich das Wort Brezel entwickelte. Dieser kleine Preis, den die Burgherrn stifteten, bestand aus einem Gebäck aus Weizenmehl, und dieses Gebäck erhielt nun den Namen Brezel, d. h. kleiner Preis. Als die Burg Landskrone 1682 als jülichsche Kaserne teilweise abbrannte und 1714 vollständig zerstört wurde, verlegte man den Gottesdienst von der Burg in die Jungfernkapelle unterhalb der Burgruine. Hier standen die Gläubigen beim Gottesdienst natürlich vor der kleinen Kapelle, und unsere Chorknaben sangen vor der Tür, so daß ihre hellen, klaren Weisen durchs Ahrtal erklangen. Die Burgherren ließen auch weiterhin am Brezelfest die Brezel an die fleißigen Chorsänger austeilen. Burgherren waren damals Quadt, Brempt, Cloth von Nesselrod und der Freiherr vom Stein. In der Franzosenzeit (1794—1814) wurde der Adel seiner Besitzungen beraubt, und das Brezelfest fand nicht mehr statt; aber nach 1815 lebte noch die Erinnerung in den Dörfern auf, und Schule und Kirche weckten das Fest mit der Dorfgemeinde Heppingen wieder auf. Alle Kinder besuchten jetzt die Schule, und sie sangen im Gottesdienst der Pfarrkirche, in ihren Kapellen und in der Jungfernkapelle. Darum erhielten sie am Ostermontag bei ihrem Gang zur Landskrone als Lohn eine Brezel. Es nahmen nun die Kinder aus der ganzen Umgebung an dem Brezelfest teil. In den letzten Jahren ist es aber durch die schlechten Wege, die zur Landskrone führten, zunächst nur in Heppingen gefeiert worden und seit einigen Jahren überhaupt nicht mehr.
Insofern ist es zu begrüßen, daß 1968 der Festausschuß der Gemeinde Heimersheim, wozu ja auch Heppingen gehört, dieses Fest wieder aufblühen läßt. Am Ostermontag 1968 erhielten die Kinder auf der Landskrone wieder ihre Brezeln. Es wären also zwei Fakten zu untersuchen:
der Grundgedanke Schülerpreisbrezel im Gegensatz zur Armenbrezel oder der Sommertagsbrezel,
der neugefundene Termin Gregoriustag. Finden wir Übereinstimmung oder Widersprüche zur herkömmlichen Deutung?
Rausch gibt an, daß mit dem Brand 1682 eine örtliche Verschiebung aus der Burg zur Marienkapelle stattfinden mußte. Nun hat aber der Bodendorfer Rentmeister in seinem Lagerbuch notiert, daß im Jahre 1670 und auch schon vorher die Krämer und Budenbesitzer am 25. März das Standgeld in Form von Brezeln entrichten mußten und daß diese an die Armen verteilt worden seien. Ich nehme an, daß die Verlagerung des Brauches zur Kapelle schon während des 30jährigen Krieges erfolgen mußte, während nacheinander schwedische, spanische, kurkölnische und kaiserliche Truppen die Burg besetzt hatten. In den damaligen Notzeiten war wahrscheinlich die Änderung des Charakters der Brezel zur Armenspeisung sinnvoller geworden. Wie war das eigentlich mit dem Gregori-Schultag? Der Schuleinholungstag, der erste Schulbesuch, am 12. März hieß vielerorts Brezeltag. In „Des Knaben Wunderhorn" von Brentano heißt es:
„Wacht auf, ihr kleinen Schülerlein, Grego-rius, das Schulfest, heut ist wieder angekommen. Die Brezel ist ein liebes Buch, du wirst's bald ausstudieren!" Die Schüler von St. Jakob und St. Georg in Köln gingen am Gregoriustag rund um das Kirchspiel und fragten, welche Kinder die Schule besuchen wollten. Dafür erhielten sie Brezeln. Allein nicht immer waren die Schüler die Brezelempfänger. In Niederheimbach z. B. erhielt der Lehrer die Brezeln, und zwar so viele von jedem Schüler, als das Kind Jahre zählte.
Ist da nicht eine eigentümliche Übereinstimmung mit unserem Brauch? Die Heppinger Kinder trugen stets die Brezeln an einer Kordel um den Hals, und es handelte sich früher stets um sechs Brezeln. Mit sechs zur Schule — sechs Brezeln!
Bleibt aber die Differenz der Termine: 12. März und 25. März! Und siehe da, der Gregoriustag war früher „Wettertag": „Gregori macht den Tag gleich der Nacht!" Es war die Tag- und Nachtgleiche am 12. März, und im Jahre 1582 wurde sie durch die Kalenderreform um zehn Tage verschoben auf den 21. März.
Da nun auch eine örtliche Verschiebung zur Marienkapelle dazukam, wundert es uns nicht, daß der 25. März auf der Landskron an die Stelle des 12. März gerückt sein kann. Übrigens berichtet R. Beitl, daß am früheren Gregoritag in Bräuchen und Spielen auch der Kampf des Sommers mit dem Winter dargestellt wurde. Somit wird für uns wieder der Kreis geschlossen, und wir können feststellen: Weder die Gedanken Schülerbrezel oder Kinderbrezel, Armenbrezel oder Preisbrezel schließen sich gegenseitig aus, auch die Terminverschiebungen waren selbstverständlich und stellen unsere Überlieferungen nicht in Frage, sondern sind eine logische Bestätigung.
Freuen wir uns der großen Überzeugungskraft unserer heimischen Sitten und Bräuche! Das Brezelfest muß weiterleben!