Die katholische Pfarrkirche von
Altenahr
VON DR. MAGNUS BACKES
Gedanken zur theologischen, politischen und kunstgeschichtlichen Bedeutung des romanischen Bauwerkes
Zeichnung: J. K. Kalm
Altenahrer Pfarrkirche, Romanischer Bau
Die 800 Jahre Baugeschichte der Altenahrer Pfarrkirche 1166 bis 1966 hat Ignaz Görtz in unserem Heimat-Jahrbuch von 1966 anschaulich dargestellt. Nachstehender Beitrag bringt wertvolle und tiefgründige Gedanken zum Altenahrer Gotteshause, wie sie der Verfasser in seiner Festrede anläßlich der 8oo-Jahr-Feier darlegte. (J. Rausch)
I.
Die theologische Bedeutung
Die Kirche des 12. Jahrhunderts war ein gedrungener, wuchtiger Baukörper mit schwerem Bauwerk, mit großen Wandflächen, mit kleinen Fenstern und mit nur einem Portal im Westen. Sie erhob sich in betonter, beherrschender Lage über den schlichten, bescheidenen Holz- und Fachwerkhäusern der Talsiedlung Altenahr, verschlossen-abweisend und wehrhaft in ihrer Erscheinung. Wenn oben auf dem Felsen die Burg der Grafen von Are thronte, so war die hochgelegene Pfarrkirche der Gegenpol, die „Burg" Gottes. Diese Vorstellung verkündet bereits das Alte Testament, so in verschiedenen Versen aus Psalmen, z. B. „Herr Gott, du bist meine Zuflucht . . ."; „Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter . . .". Diese Vorstellung findet sich bei früh- und hochmittelalterlichen geistlichen Gelehrten, etwa Sidonius Apollinaris; sie spricht in Altenahr aus der erhöhten festungsartigen Lage des Bauwerks und äußert sich vor allem im wehrhaft-wuchtigen und schmuckarmen Charakter der Bauweise.
Während die Burg der Grafen von Are und die mit der Burg verbundene einstige Ortsbefestigung gegen militärische und politische Feinde gerichtet waren, schützte die Burg Christi vor den in Teufeln, Schlangen, Drachen und Untieren personifizierten Gefahren, welche nach mittelalterlicher Vorstellung die Kirche und die Seelen der Menschen bedrängten und bedrohten. Immer wieder hat die romanische Kunst deshalb an Portalen, Fenstern, Mauern, Kapitellen und Konsolen die Dämonen und Monstren sinnbildlich dargestellt: es sind die Feinde, welche die Burg Christi umstürmen. Es ist heute nicht immer leicht zu entscheiden, ob eine solche bildlichplastische Darstellung an einer romanischen Kirche das bedrängende Böse, die gottfeindlichen Mächte symbolisiert, die auf diese Weise an das Kirchengebäude gebannt und dadurch überwunden werden sollen, oder ob eine solche Darstellung apotropäisch, also unheilabwendend, unheilbannend gemeint ist. Diese Unsicherheit in der Deutung besteht auch für das alte Westportal von Altenahr. An einem seiner Kapitelle ist ein Schlangentier eingemeißelt. Soll es die Feinde abschrecken, also als Apotropeion wirken, oder kennzeichnet es den gebannten, gefesselten und schon besiegten Feind? Jedenfalls ist es ein kennzeichnender Bestandteil der Burg Christi und ein Sinnbild des Kampfes der Kirche in dieser Welt.
Die Gottesburg von Altenahr unterscheidet sich von der Burg der Grafen grundsätzlich aber durch eine andersartige, durch eine überirdische Seinsweise. Die reale Gegenwart im Allerheiligsten erhebt das irdische Kirchengebäude zu einem wirklichen Abbild der himmlischen Gottesburg, der Residenz Christi oder des himmlischen Jerusalem. Auch diese Vorstellung wird seit frühchristlicher Zeit bis in unsere Gegenwart durch schriftliche Zeugnisse, bauliche und bildliche Hinweise und auch durch die Texte des Einweihungsritus bezeugt. Die real auf der Erde gebaute Kirche ist ein Analogen, ein hinweisendes, ein hindeutendes Abbild der überirdischen, transzendenten Gottesstadt und Gottesburg — so hat es zum Beispiel Abt Suger von St. Denis um die Mitte des 12. Jahrhunderts formuliert, fußend auf der spätantiken und frühchristlichen Philosophie des Neupla-tonismus. Dieser tiefreligiösen Grundvorstellung entspringt auch die farbige Gestaltung des Kirchengebäudes. Mittelalterliches Kunstschaffen geschah ja nie aus sich selbst, nie um des rein Künstlerischen willen, sondern es gründete immer im Religiösen. So wurden bei mittelalterlichen Kirchen das Mauerwerk und die Werksteine, selbst wenn sie noch so sorgfältig gemeißelt waren, stets übermalt und mit einem eigenen, streng geometrischen Fugennetz aus Farbe überdeckt. Denn der irdische, unvollkommene Stein sollte verklärt und erhoben werden zu einer vollkommenen, wohlgeordneten überirdischen Erscheinung, würdig der himmlischen Gottesburg, deren verklärtes Abbild er wiedergibt. Wenn man sich die Altenahrer Kirche in der kraftvollen, wuchtigen Gestalt des 12. Jahrhunderts, dazu in den strahlenden, leuchtenden Farben Weiß, Blau, Gelb und Rot, hochthronend über der beengten Talsiedlung vorstellt, so wird es verständlich, daß dieses Bauwerk den mittelalterlichen Menschen wie ein Einbruch der überirdischen Welt in ihre reale Welt erscheinen mußte.
II.
Die politische Bedeutung
Das Mittelalter war nicht nur eine Epoche hoher religiöser Geistigkeit, es war auch eine Zeit harter politischer und wirtschaftlicher Gegensätze. Diese Spannungen — hier Kirche, dort Weltlichkeit, hier Papst, dort Kaiser, hier klösterliche Hingabe und caritative Selbstaufopferung, dort Fehdefreudigkeit und Machtstreben — ziehen sich wie ein roter Faden durch die mittelalterliche Geschichte. So war auch die Burg Christi von Altenahr eingebunden in die territorialpolitischen Machtbezüge des Ahrtals im 12. Jahrhundert. Das politische Schicksal des mittleren Ahr-tales bestimmten vom n. bis zum 13. Jahrhundert die Grafen von Are. Sie nannten sich nach dem Fluß, der als Lebensader ihr Herrschaftsgebiet durchströmte und dessen Name wohl keltischen Ursprungs ist. Vom Flußnamen leiteten die Grafen auch ihr Wappenbild ab: Ahr — Ar = Adler. Sie griffen damit eine alte Tradition auf; denn der Adler wurde von den Römern bereits als Legions- und Feldzeichen getragen, und die Ho-henstaufenkönige des 12. und 13. Jahrhunderts erhoben den Adler zum Reichssymbol. So kündet allein schon das Wappenzeichen von dem hohen politischen Denken dieses Ahrtal-Geschlechtes, das sich rühmte, mit den Staufen verwandt zu sein.
Die Burg Are und die zugehörende Talsiedlung Altenahr wurden durch Graf Dietrich I. von Are (t um 1127) zu Beginn des 12. Jahrhunderts gegründet, da die Altenburg, die erste Burg der Grafen von Are, im Investiturstreit 1096 zerstört wurde. Graf Dietrich nannte sich als erster seines Geschlechtes seit 1105 nach diesem neuen Familiensitz „von Are".
Die militärische und rechtliche Verwaltung der Burg, der Talsiedlung und der Grafschaft besorgte ein im Burgbereich wohnender castellanus, ein Burggraf. Auffallend ist, daß die Grafen von Are für die Talsiedlung niemals Stadtrechte erwirkten. Altenahr erhielt zwar eine Ortsbefestigung, behielt aber im Mittelalter stets die rechtliche Stellung eines gefreiten Dorfes mit der Bezeichnung „Tal". Die Ursache für diese Vernachlässigung liegt wohl in der schnellen Aufsplitterung und damit Schwächung dieses Geschlechtes begründet. Schon mit den Söhnen des Grafen Dietrich teilte sich das Geschlecht in die beiden Linien Are-Hochstaden und Are-Nürburg; die Are-Hochstaden saßen in Altenahr und auf Burg Are. Der Zweig Are-Nürburg spaltete sich bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts wiederum in zwei Linien, Are-Nürburg und Are-Neuenahr.
Die Grafen von Are erbauten im Laufe des 12. Jahrhunderts innerhalb ihrer Burg Are eine Kapelle, eine kunstgeschichtlich bemerkenswerte doppelgeschossige Bauanlage, jetzt Ruine, Erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann Graf Dietrich II. von Are-Hochstaden, der Enkel des vorhin genannten Dietrich von Are, den Bau der heutigen Pfarrkirche. Ob diesem Bau eine Kapelle im Tal vorausging, ist ungewiß. 1166 schließen Graf Dietrich II. von Are-Hochstaden und Graf Ulrich von Are-Nürburg einen gemeinsamen Vertrag, in dem sie das Verhältnis der beiden Linien zueinander, die Erbfolge, die Rechte der Burgmänner und Dorfbewohner regelten und auch rechtliche Fragen der neuen Kirche klärten. U. a. bestimmten die beiden Grafen, daß die Burgmänner von Are jeweils den neuen Pfarrer von Altenahr zu wählen hätten, und zwar sei „ohne Rücksicht auf Verwandtschaft, Zuneigung oder Geldzuwendung ein den Burgmännern und dem Volke geeignet erscheinender Pastor" zu benennen. Aus dieser Urkunde von 1166 ergibt sich: Die Grafen von Are müssen als Grundherren das Patronatsrecht an der Altenahrer Pfarrkirche besessen haben; denn sie übertrugen dieses Recht auf die von ihnen lehnsabhängigen Burgmannen, vermutlich als Gegenleistung für deren Mithilfe beim Kirchenbau; die Grabstätten der Burgmannen befanden sich auf dem Altenahrer Friedhof. Das Patronatsrecht hat sich aus dem karolingischen Eigenkirchenrecht entwickelt. Das Patronat ist eine gemilderte, abgeschwächte Form des älteren, strengeren Eigenkirchenrechts. Die Eigenkirche war nach frühmittelalterlicher Rechtsauffassung ein Gotteshaus, das von einem weltlichen Herrn auf seinem Grund und Boden gestiftet und errichtet wurde und das deshalb diesen Herren in Eigenherrschaft unterstand. Der weltliche Stifter hatte die vermögensrechtliche Verfügungsgewalt und alle geistliche Leitungsgewalt über seine Stiftung. Dieser Rechtsstatus, geboren aus dem Dualismus des Mittelalters, hatte sich in karolingischer Zeit gebildet. In den nachfolgenden Jahrhunderten hatte er zu erbitterten Auseinandersetzungen und heftigen Kämpfen zwischen den kirchlichen und weltlichen Mächten geführt. Jeder Partner verteidigte seine Rechtsansprüche an den geistlichen Gütern. Im Vordergrund stand die harte Realität: Wer zieht den immerhin sehr einträglichen wirtschaftlichen Gewinn aus den geistlichen Stiftungen, der weltliche Stifter oder die Kirche? Im letzten ging es jedoch um eine geistesgeschichtliche und religiöse Kernfrage mittelalterlichen Lebens: Sind Adel und Kaiser die von Gott berufenen und berechtigten Hüter der weltlichirdischen Güter der Kirche? Oder darf und soll die Kirche weltliche Funktionen ausüben, ihre irdischen Güter selbst nutzen und verwalten und die geistlichen Stellen besetzen? Im bekannten Investiturstreit vollzog sich diese Auseinandersetzung auf höchster Ebene zwischen Papst und Kaiser.
Altenahr um 1850
Der Streit gipfelte im 12. Jahrhundert in den Beschlüssen des Wormser Konkordates von 1122 und des i. und 2. Laterankonzils von 1123 und 1159. Die Kirche versuchte damit das Eigen-kirchenrecht durch das Patronatsrecht zu ersetzen: Den Laien sollte nur noch das Präsentationsrecht verbleiben, d. h. das Recht, bei der Besetzung geistlicher Würdenstellen entsprechende personelle Vorschläge zu machen; die Verleihung des Amtes aber sollte allein Sache des Bischofs sein; das Eigentumsrecht an dem betreffenden Gotteshaus oder Kloster aber sollte nur noch bei der Kirche liegen. Doch die Praxis sah in der Folgezeit vielfach noch anders aus. Diese erregten Spannungen /wischen Kirche und Feudaladel stehen auch letztlich hinter der Urkunde von -ri66. Der Vertrag läßt erkennen, daß die Altenahrer Pfarrkirche eine Eigenkirche der Grafen von Are war. Die Grafen hatten die Kirche auf ihren Liegenschaften gestiftet und errichtet. Davon leiteten sie das Recht ab, die Pfarrgeistlichen nach ihrer und ihrer Burgmannen Entscheidung anzustellen oder zu entlassen, und darin gründete auch ihr zu vermutender Einfluß auf die Baugestaltung (vgl. den nachfolgenden Abschnitt) und auf die Funktion der Altenahrer Kirche. Denn dieser Bau war nicht nur die Burgkirche Christi, sie war auch eine Wehrkirche der Grafen von Are. Das ergibt sich aus der Lage des Gebäudes zur tiefer liegenden Talsiedlung, zur Ortsbefestigung und zur Burg. Ortsbefestigung und Wehrkirche bildeten einst eine Einheit und waren nach Art einer Vorburg auf die Burg Are bezogen. Wehrkirchen, d. h. also Kirchengebäude, die durch Lage, Bauweise oder Kirchhofsummauerung verteidigungsfähig waren, gab es im hohen und späten Mittelalter in sehr großer Zahl, weit mehr, als man gemeinhin glaubt und als die wenigen erhaltenen Reste heute noch erkennen lassen. Der letzte Graf des Hauses Are-Hochstaden, Konrad, wurde 1.238 Erzbischof von Köln. Er übertrug die gesamte Grafschaft, also auch Burg Are und die Talsiedlung Altenahr, dem Erzstift zu eigen und schlug damit seine erbberechtigten Verwandten aus. Das Patronatsrecht an der Pfarrkirche jedoch konnte Konrad nicht an Köln vergeben; denn es gehörte ja den Burgmannen. Zehn Jahre später, 1256, übertrug Erzbischof Konrad auf Bitten der Burgmannen das Patronatsrecht dem Deutschen Ritterorden zu Koblenz. Die Burgmannen waren also offensichtlich darauf bedacht, das Patronatsrecht dem Kölner Erzstift zu entziehen. Eigentumsrecht und Baupflicht lagen in den nachfolgenden Jahrhunderten beim Koblenzer Deutschhaus — ein erneuter Hinweis dafür, daß Eigentum und Baupflicht vorher bei den Grafen von Are gelegen hatten. Das Patronatsrecht übten jedoch im 15. Jahrhundert wieder die Burgmänner von Are und der Kölner Erzbischof gemeinsam aus. Sie wählten trotz der edlen Versicherung des Vertrages von 1166 die Pfarrer überwiegend aus ihrem Familienkreise: ein Zeichen, wie sehr sie die Altenahrer Kirche auch später als ihr Eigen betrachteten. Erinnert sei nur an die vielen Altenahrer Pfarrer aus den bekannten rheinischen Adelsfamilien von Vimeburg, von Saffenburg, von Gymnich, von der Leyen und Waldbott-Bassenheim. Diese Tatsache führte zu der Bezeichnung „Ritterpfarrkirche".
III.
Die kunstgeschichtliche Bedeutung
Größe und stattliche Erscheinung der Altenahrer Pfarrkirche machen es offenbar, daß die Grafen von Are ein repräsentatives Bauwerk schaffen wollten, ein Zeugnis ihrer herrschaftlichen Macht und Kirchenpolitik.
Die auffallende Schlichtheit, ja ornamentale Bescheidenheit des Bauwerkes ist dagegen nicht als Mangel oder Unvollkommenheit zu werten, sondern als bewußte Absicht, wohl als eine Bestätigung des Wehrkirchencharakters auch von der künstlerischen Gestaltung her.
Von besonderer Bedeutung ist der Vierungsturm. Er gibt der Kirche ihre einmalige, wuchtig-kraftvolle Charakteristik. Es gibt im Rheinland nur eine Kirche des 12. Jahrhunderts mit einem ähnlich markanten quadratischen Vierungsturm, die katholische Pfarrkirche zu Mittelheim im Rheingau. Wie kommt dieser Vierungsturm nach Altenahr? Für den folgenden Erklärungsversuch sind zu unterscheiden l. das „Baumotiv" „Vierungs-turm", also ein Turm über dem Schnittpunkt von Mittelschiff und Querschiff, und 2. die „Bauformen" dieses Vierungsturmes: quadratisch, gedrungen, mit niedrigem Zeltdach und mit zweiteiligen rundbogigen Schallarkaden über Mittelsäulchen an allen vier Turmseiten.
Die Architektur der Kölner Bauschule der Mitte und der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts läßt eine allgemeine starke zentrale Tendenz erkennen (vgl. St. Martin und St. Aposteln in Köln und Schwarz-Rheindorf bei Bonn-Beuel), Doch für Altenahr dienten wahrscheinlich die Kirchen der rheinischen Prämonstratenser-klöster Steinfeld und Knechtsteden als Vorbilder.
Kloster Steinfeld wurde von den Vorfahren des ersten Grafen Dietrich von Are in der zweiten Hälfte des n. Jahrhunderts gegründet. Dietrich I. von Are übergab diese Familienstiftung 1121 dem Kölner Erzstift. Der Erzbischof unterstellte das Kloster 1122 dem jungen Reformorden der Prämonstratenser.
Zwei Jahrzehnte nach der Umwandlung, ab 1142, wurde die neue Klosterkirche gebaut, eine stattliche romanische Gewölbebasilika mit kraftvollem achteckigem Vierungsturm. Also wenige Jahre vor der Errichtung der Altenahrer Pfarrkirche taucht bei der Familienstiftung Steinfeld das Motiv des Vierungsturmes auf. Das Prämonstratenser-Chorherrenstift Knechtsteden bei Köln war um 1130, also kurz nach der Umwandlung Steinfelds, gegründet worden, und zwar durch Graf Hugo von Sponheim. Die Grafen von Sponheim und die Grafen von Are-Hochstaden waren blutsverwandt, die Erbtochter Adelheid von Hochstaden hatte den Grafen Otto von Are geheiratet, der Bruder der Adelheid war der erste Vogt des Klosters Knechtsteden. So ergibt sich auch hier eine sehr enge verwandtschaftliche Beziehung der Grafen von Are zu Knechtsteden. Die Klosterkirche wurde um 1138 begonnen, also vier Jahre früher als Steinfeld. Sie ist ebenfalls eine dreischiffige Basilika mit achtseitigem stattlichem Vierungsturm.
Foto: Ignaz Görtz
Die Vierungstürme der beiden Klosterkirchen weisen zwar ähnliche Fensterformen wie die Altenahrer Pfarrkirche auf. Aber sie unterscheiden sich im gesamten Erscheinungsbild doch wesentlich von Altenahr durch ihre höhere, schlankere und vor allem achteckige Form. Man kann also festhalten: Das Baumotiv „Vierungsturm" findet sich bei zwei großen Klosterkirchen aus dem engsten Familienkreis der Grafen von Are wenige Jahre vor dem Bau der Altenahrer Pfarrkirche, und es erscheint wahrscheinlich, daß Knechtsteden und Steinfeld die Anregung zum Altenahrer Vierungsturm gegeben haben.
Bereits im Kunstdenkmälerinventar des Kreises Ahrweiler von 1938 wird als formales Vorbild für den Altenahrer Vierungsturm auf den romantischen Westbau der ehemaligen Stiftskirche von Münstereifel verwiesen. Dieses Westwerk, ein Nochfolgebau des ottonischen Westwerkes von St. Pantaleon in Köln, gruppiert sich mit niedrigen Flankenbauten um einen machtvollen quadratischen Turmkörper, den zwei seitlich anstoßende Treppentürmchen überragen. Dieses Westwerk steht in einer langen kunstgeschichtlichen Tradition seit der karolingischen Zeit, mit reicher Formwandlung und reifer Symbolik. Mit Altenahr hat dies nichts zu tun — bis auf die architektonische Form des Turmkörpers: Ein quadratischer Kubus mit zwei Paar doppelbogigen runden Fensterarkaden an jeder Seite. Die Ähnlichkeit ist überraschend, und eine formale Vorbildlichkeit scheint möglich. Graf Dietrich I. von Are taucht übrigens um 1125 auch in einer Urkunde des Münstereifeler Stiftes auf. Die rechtliche Verbindung zwischen dem Stift und dem Grafenhaus ist somit schon im 12. Jahrhundert gesichert.
Das Bau- und Formmotiv des Vierungsturmes verrät also das aktive Eingreifen der Bauherren in die Gestaltung des Werkes, d. h. die rechtliche Stellung als gräfliche Eigenkirche hatte auch unmittelbare künstlerische Auswirkungen.