Borler und das Grünlandforschungsinstitut

VON HERMANN BAUER

Borler liegt in einer Talmulde. Die Dorfstraße und die Wege schlängeln sich an den etwa 25 Häusern vorbei. In der Mitte des Dorfes, auf halber Höhe, ist die Dorfkapelle, davor ein Denkmal mit den Namen zweier Generationen, die in den beiden Weltkriegen ihr Blut gelassen haben.

Wer von Nohn kommend die Hauptstraße nach Kelberg benutzt und dann links einbiegt, empfindet wohltuend das sanfte Steigen und Fallen; gleichzeitig lassen die außergewöhnlich sauber asphaltierten Straßen das Ungewöhnliche erkennen.

Die ganze Anlage dieses Dorfes zeigt Bewegung, und aus der Fülle der Bewegung wächst eine schöpferische Ruhe. Umrahmt wird das harmonische Bild durch hohe Laub- und Nadelwälder, denen jegliche Düsterheit fehlt. Kein Wunder, daß sich gerade hier einstmals ein Rittergeschlecht niederließ, wovon noch heute die Heyerbergkapelle zeugt.

Die Borler gehen nach Bodenbach zur Kirche, zur Schule und zur ewigen Ruhe. Zwischen beiden Dörfern ist ein fortwährendes Geben und Nehmen, aber jedes bewahrt seine Eigenart. Auch Bodenbach hat ein eigenes Gesicht, etwas musischer, konservativer.

Der wirtschaftliche Reichtum in Borler verteilt sich fast gleichmäßig auf alle Familien — ein typisches Kleinbauerndorf. Wirtschaftlich tendiert es nach Adenau, neuerdings mehr nach Kelberg, einem alten Marktflecken. Nicht unbedeutend sind die Berührungspunkte mit dem Ahrtal und dein Räume Bonn-Köln. Ungünstig liegt die Kreisstadt Mayen, wenn auch durch Busverbindungen heute eine bessere Möglichkeit zürn Besuch nach dort besteht als früher. Das, was Borler zu dem gemacht hat, was es heute ist, verdankt es einer Summe günstiger Umstände. In den 20 Jahren war Mathias Laux als Ortsvorsteher dem Dorf ein guter Vater und ein fähiger Dorfpolitiker. Er spürte zeitig, welche Aufgaben auf die Gemeinde zukamen. Er kannte alle seine „Schäfchen" in ihrer Eigenart und in ihrem Charakter. Er wußte um die Stillen, die Lauten, die Pfiffigen und Klugen, die immer erstrangig nach ihrem Vorteil ausspähten; er kannte aber auch die Ewig-Nein-Sager, die einfach aus dem gewohnten Tritt nicht wegkamen.

Die wirtschaftliche und soziale Lage des Dorfes war durch klimatische und geologische Verhältnisse bedingt. Bei einer Niederschlagsmenge von 677 mm im Durchschnitt, einer Jahrestemperatur von 7 Grad Celsius und dem schweren Tonboden waren die Erträge kümmerlich. Der einzige Reichtum waren die Kinder. Borler hatte die Ehre, einmal das kinderreichste Dorf Preußens zu sein. Dieser Reichtum verpflichtete. Die Menschen waren nicht gewillt, die Armut als ein unabänderliches Schicksal hinzunehmen. Bereits in den Jahren 1896/97 zeichnete sich dieser Wille ab. Schon in dieser Zeit wurden die einzelnen Parzellen zur besseren Bewirtschaftung zusammengelegt.

Im Jahre 1927 kam der jetzt in Mainz i. R. lebende Oberlandwirtschaftsrat    S c h o l z    als Direktor an die Landwirtschaftsschule nach Adenau. Zur gleichen Zeit übernahm Franz Grafen als Schulrat die Aufsicht über den Kreis Adenau. Beide waren vom gleichen Idealismus getragen, beide verstanden es, Menschen für ihre Ideen zu begeistern, beiden war der wohltuende Klang des Niederrheins eigen, und so verbanden sie mit einem starken Willen, das gesteckte Ziel zu erreichen, die wohltuende Fähigkeit, gut mit den Menschen umzugehen.

Die Aufgabengebiete bei beiden waren sehr verwandt, Scholz ging seinen Weg über die Landwirtschaftsschulen und Beratungsstellen, das Lieblingskind von Grafen war die landwirtschaftliche Fortbildungsschule und ihre Ausweitung auf die Erwachsenenbildung. Vom Fachlichen aus gesehen ging Grafen mehr in die Breite, um das gesamte Niveau zu heben, Scholz dagegen suchte die Begabtesten und von ihrem Beruf überzeugten Junglandwirte zum Besuch seiner Schule zu überreden, um so gut gebildeten Nachwuchs zu erhalten und sich einen Stamm von tüchtigen Mitarbeitern zu sichern. Das war in der damaligen Zeit nicht leicht. Das Geld war knapp; wer zur Schule gehen wollte, mußte auf die Einnahmen verzichten und noch zusätzlich Geld ausgeben. Die Verkehrsverhältnisse waren armselig und die Straßen und Wege bei dem oft hohen Schnee unpassierbar. Neben der Schule suchte Scholz die Bauern für neuzeitliche Bewirtschaftungsmethoden zu begeistern. Das war bei dem sprichwörtlichen Mißtrauen vor jeder Bücherweisheit ein sehr schwieriges Unterfangen. Er mußte also Menschen finden, die ihm glaubten und dann folgten. Diesen Menschen fand er in Johann Neunkirchen als Musterlandwirt. Das war die Sternstunde von Borler. Es war nicht so, als ob man hier einen Stürmer oder Revolutionär zum Zuge gebracht hätte, erst recht nicht so, als ob für einen Wortfechter nun die Plattform für seine Reden gefunden worden wäre, auch nicht so, als ob ein stiller Denker durch einen Gönner vergeschoben worden wäre.

Die Qualitäten von Johann Neunkirchen lagen anderswo, und die Freunde wurden seltener, je mehr sich der Erfolg zeigte. Wo lag nun das Geheimnis? Es ist schwer, Letztgültiges über einen Menschen auszusagen. Er war ein gläubiger Mensch, seinem Gott verpflichtet und der Kirche ergeben, er glaubte auch an das Gute im Menschen, und er spürte mit jener Witterung, die den in der Natur lebenden Menschen eigen ist, daß er in dem Direktor Scholz einem guten Menschen begegnete und daher alles tat, was dieser zur Verbesserung seines Hofes vorschlug. Er hatte auch ein persönliches Interesse daran, denn er war der Vater der kinderreichsten Familie. In seiner neuen Eigenschaft — zunächst noch ohne Mustergut — machte er einen Lehrgang auf dem Hofgut Altenberg bei Wetzlar mit, wo er auch mit dem Leiter der neugebildeten Grünlandabteilung, Professor Könekam p, zusammentraf. Auch diese Begegnung wurde von weittragender Bedeutung. Auf Anraten von Landwirtschaftsrat Scholz legte Neunkirchen zwischen Bodenbach und Borler auf dem Gemeindepachtacker eine Wiese mit Edelgräsern an und beschriftete die einzelnen Anlagen. So wurde ein lebendiger Anschauungsunterricht von den Möglichkeiten in den Höhengebieten gegeben. In dieser Zeit pachtete der jetzige Landwirtschaftsdirektor Vogler, Landwirtschaftskammer Rheinland-Nassau in Koblenz, den Ettenhof in Borler mit Acker, Weiden und dem dazugehörigen Vieh, und unter den kritischen Augen der Bauern rodete, drainierte, pflügte, säte und pflanzte er und führte Versuche mit Kunstdünger durch. Der Theoretiker und Kathederlandwirt gehörte nun zur bäuerlichen Gemeinde, teilte mit ihr Familienleid und -freud, Stall- und Ackersorgen; er brauchte niemanden durch Worte zu überzeugen, er arbeitete einfach auf seinem Gute. Er begründete die Steigerung seiner Erträge auf einem Boden, der ja den gleichen Bedingungen wie der der ändern Bauern unterworfen war, mit den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sein Anwesen kam bald in den Ruf eines Mustergutes, und sein Beispiel steckte an. Überall entstanden Musterdungstätten und moderne Ställe. Das Ödland wurde kultiviert und das Vieh graste auf verbesserten Weiden. Ratschläge, die sonst im Gerüche aktenstaubmäßiger Wirklichkeitsfremde standen, fielen jetzt auf aufnahmebereiten Boden. Doch der Einzelwille mußte gestrafft, aus Individuen mußte eine Gemeinschaft gebildet werden. Dazu bedurfte es eines überzeugten Idealisten mit einem klaren, realistischdenkenden Kopf. Daß es der Großvater meiner Kinder war, erfüllt mich mit stolzer Freude. Ich habe diesen bedächtigen, innerlich und äußerlich wohl gepflegten Mann achten und schätzen gelernt. Er hatte einen klaren Blick für echte Werte. Er war in seiner inneren Haltung wesentlich anders als sein Schwager Neunkirchen, aber gerade aus dieser Ergänzung konnte sich die Umformung des Dorfes vollziehen. Nach der Gründung der Weidegenossenschaft regelt Josef Adams den Geldverkehr mit den angeschriebenen Firmen, während Landwirtschaftsrat Scholz als Schriftführer doppelten Kontakt pflegen konnte, einmal zu den Behörden und Syndikaten, anderseits zu den Bauern. Die Wirksamkeit des Fachberaters, als er im Vorstand der Genossenschaft war, gestaltete sich so selbstlos, daß er auf seine Sonntagsruhe verzichtend immer wieder die Genossenschaftsmitglieder zusammenrief, klärend und ausgleichend wirkte.

Während der Ettenhof mit Landwirtschaftsrat Vogler das lebendige Anschauungsbild gab, zeigte im Musterbau „Steine und Erde" — Besitzer Peter Reuter — ein Beispiel bäuerlicher Wohnkultur. Alle Bürger, 23 an der Zahl, traten unter dem Vorsitz von Johann Neunkirchen der Genossenschaft bei. Die genossenschaftliche Arbeit war anfänglich sehr schwierig, denn es war kein Geld da, wohl aber viel Arbeit. Die Trierer Landeszeitung hatte Recht, wenn sie 1952 unter dem Leitwort „die Revolution von Borler" schrieb, daß das erwachte und erkannte Zusammengehörigkeitsgefühl alle Kräfte mobilisierte. Bis 1934 wurden 60 Morgen in nutzungswürdiges Grünland verwandelt und nach modernen Gesichtspunkten beweidet. Aber auch die Hilfe blieb nicht aus. Waggonweise rollte der Kunstdünger an, während der Kassierer lediglich die Fracht zu bezahlen brauchte; der Staat gab Zuschüsse, als er sah, wie die Menschen sich regten.

Was lag nun näher, als daß von der Landwirtschaftskammer Rheinland-Nassau in Koblenz mit Unterstützung des Grünlandforschungsinstitutes der Forschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Volkenrode 1951 die Wahl auf Borler fiel, für das Land Rheinland-Pfalz das Grünlandforschungsinstitut zu übernehmen. Denn auch Prof. Könekamp als Leiter der Forschungsanstalt sah hier in der Lage, dem Boden und den Menschen die richtigen Voraussetzungen. Unentgeltlich stellte die Gemeinde den Bauplatz zur Verfügung und machte Baugelder durch Zwangseinschlag flüssig. Das Gesamtprojekt, das mit 160000 DM veranschlagt wurde, konnte neben dem Eigenkapital der Gemeinde aus den Geldern der Marshallplanhilfe, des Amtes und des Bundes finanziert werden. Träger des neuen Institutes wurde die Landwirtschaftskammer, Eigentümer blieb die Gemeinde und der Mitarbeiterstab von Prof. Könekamp stellte in Dr. Unglaub den Leiter.

Seit dieser Zeit findet hier die Elite des bäuerlichen Nachwuchses ihre Schulung. Mit ihr führen die im Bezirk der Landwirtschaftskammer tätigen Fachkräfte Grünlandlehrgänge durch.

Die Lehrgangsteilnehmer sind in den einzelnen Bauernfamilien untergebracht, und was ihnen theoretisch im Institut begründet wird, finden sie in den landwirtschaftlichen Betrieben bestätigt. Die Milchablieferung von Borler liegt weit über dem Landesdurchschnitt, die Ställe sind ausnahmslos mit lichten Fenstern und regulierbaren Entlüftungsklappen versehen und Rinder, Ochsen und Kälber erzielen die besten Preise. Da 45% des Ackerlandes natürliches Weideland ist, können gerade hier für alle Höhengebiete links und rechts des Rheines die notwendigen Erkenntnisse gesammelt werden. Von hier aus geht ein fortwährendes Geben und Nehmen mit den Landwirtschaftsschulen und den Wirtschaftsberatungsstellen der Höhengebiete.

Die eigentliche Schulungsarbeit für praktische Landwirte und Jungbauern liegt in den Wintermonaten. Neben Themen wie Futterbau, Futterkonservierung und Fütterung, der Heuwerbung und Gärfutterbereitung, stehen Versuche mit den modernsten Hilfsmitteln und der Mechanisierung in der Landwirtschaft zur Sprache. Die Ergebnisse der 6,5 ha großen Versuchsfelder in Borler und Nohn mit Eifeler Rotklee, Eifeler Luzerne werden in Beziehung zu Klima, Oberflächengestalt und Bodenwert gebracht. In den Laboratorien werden exakte Untersuchungen der Ernteproben durchgeführt. So wird das Institut zusätzlich zur Wertprüfungsstelle des Bundessortenamtes Rethmar.

Die Arbeit selbst soll weit über das Nützliche und Zweckmäßige hinausstrahlen. Mehr denn je gilt es, das bäuerliche Berufsethos zu retten bzw. es wiederzugewinnen. Denn selbst in diesem. Raum beginnen die Menschen, geblendet von Scheinwerten, boden- und berufsflüchtig zu werden. Die Massenmedien verdrängen jegliche Kultur, die Zeitnot diktiert das Arbeitstempo, die Ansprüche und ihr Erfüllen ertöten jedes eigenständige Leben. Auf einsamem Posten stehen die von ihrem Beruf Überzeugten und verteidigen die Werte, aus der einmal die abendländische Kultur wuchs. Hier liegt die Hauptaufgabe der Forschungsstelle, die mit ihrer Arbeit den Menschen die Gesamtschau ihres Berufes zu vermitteln versucht. Der Glaube, daß unsere Zeit lediglich eine Durststrecke ist, die durchgestanden werden muß, nährt den Idealismus, mit dem das Institut in der vordersten Linie steht.