Einst Bauern im Ermland - heute bei uns

VON HEINRICH O. OLBRICH

Im Frühjahr 1939 wurden die Bewohner der Orte Cassel, Lederbach, Blasweiler mit Beilstein, Denn, Ober- und Niederheckenbach, Weidenbach, Herschbach, Kaltenborn und Fronrath von der nationalsozialistischen Regierung zwangsweise ausgesiedelt, um für die Errichtung eines Luftwaffenübungsplatzes Raum zu schaffen. Im Jahre 1950 wurde das eben genannte Gebiet von der damaligen französischen Besatzungsmacht für die landwirtschaftliche Nutzung wieder freigegeben.

Es wurde beschlossen, hier eine landsmannschaftlich geschlossene Siedlung zu schaffen und heimatvertriebenen Bauern aus dem Ermland eine' neue Heimat zu bieten.

Die Leser unseres Jahrbuches und die Nachbarn des Raumes Ahrbrück werden wohl erstmalig von der Existenz eines Ermlandes in Deutschland gehört haben. Wir wollen daher zunächst den Spuren dieser Erinländer in ihrer früheren Heimat nachgehen.

Unser kleiner Kartenausschnitt führt uns in die alte deutsche Provinz Ostpreußen. Jeder Besucher dieser einst blühenden Provinz konnte schon nach kurzem Aufenthalt erkennen, daß sich in diesem nordöstlichsten deutschen Raum eine besondere Volksgemeinschaft mit einer bestimmten Prägung entwickelt hat, die in der Gestaltung eines einheitlichen Landschaftsbildes in Stadt und Land, wie in der gesamten Lebenshaltung und Kultur ihren Ausdruck gefunden hat.

Die geschichtliche Entwicklung dieses Landes gibt uns für das Werden seines Volksstammes näheren Aufschluß:

Noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts war das ehemalige Ostpreußen von den heidnischen Prussen bewohnt, die ihre Nachbarn, namentlich die Polen, durch kriegerische Einfälle oft heimgesucht haben. - Die Prussen waren keine Germanen, aber auch keine Polen, was an dieser Stelle betont werden muß, sondern eine indogermanische Völkergruppe, die ihren östlichen Nachbarn, den Letten und Litauern, nahestand. Deutsche christliche Sendboten, wie Adalbert von Prag oder Bruno von Querfurt oder Otto von Bamberg begannen hier schon früh das Werk der Christianisierung, doch die meisten von ihnen starben den Martyrertod.

Ein folgenschweres, wichtiges geschichtliches Ereignis führte rasch eine Wendung herbei, als der polnische Herzog Konrad von Masowien im Jahre 1226 den Hochmeister des Deutschen Ritterordens bat, ihm gegen die fortgesetzten Überfälle durch die Prussen Schutz und Hilfe zu leisten.

Der Ritterorden, der zu diesem Zeitpunkt ohne besondere größere Aufgaben stand, nahm das Ersuchen bereitwillig an, zumal das von ihm eroberte Land der Prussen in seinen Besitz übergehen sollte. Kaiser und Papst hatten dieses Unternehmen gutgeheißen.

So begann nun 1226 durch den deutschen Ritterorden der großangelegte Kreuzzug ins Land der Prussen. Da dieses damals nur sehr spärlich bevölkert war, vollzog sich die Inbesitznahme des Landes rasch, und die Christianisierung und Durchdringung jener Gebiete mit abendländischer Kultur machte große Fortschritte. Papst Innocenz IV. verfolgte diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit und entsandte einen Beobachter, den Bischof Wilhelm von Modena, um bei der kirchlichen Ordnung des ostpreußisehen Neulandes maßgeblich mitzuwirken. Im Benehmen mit dem Ordensoberen wurde 1243 das nun in Besitz genommene Gebiet in 4 Bistümer aufgeteilt: Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland.

Frauenburg / Der Domberg, erbaut 1329-1388
 „Der Dom am Meer" schaut weit über das Frische Haff. Gotische Hallenkirche mit vier Ecktürmen

Ein Blick auf unsere Landkarte zeigt uns, daß das Ermland etwa in der Mitte des eroberten Gebietes lag und namentlich im Süden keine Berührung mit einem Grenzvolk hatte. Im Jahre 1250 wurde Anselm, der als Priesterbruder aus dem Ritterorden hervorgegangen war, der erste Bischof des Bistums Ermland.

In den Verträgen zwischen dem Papst und dem Ritterorden wurde bestimmt, daß der jeweilige Bischof in einem Drittel seiner Diözese auch die landesherrlichen Vollmachten hatte. Durch diese Regelung wurde der Bischof des Ermlandes zugleich Fürstbischof.

Nach Bildung der Bistümer begannen die Bischöfe die mit großem Eifer aufgenommene planmäßige Besiedlung des nur spärlich bewohnten Landes. Es wurden Werber nach Deutschland entsandt, die hier Bauern für Ostpreußen gewinnen sollten. Die Angebote waren vielversprechend, denn den Neubauern wurde zugesichert, daß sie sich dort als freie Bauern auf eigener Scholle entfalten könnten. Die nach Freiheit lechzenden Bauern der westlichen deutschen Länder und auch Handwerker kamen in Scharen in das neue Ordensland. Bischöfe, Klosterniederlassungen, Bürger und Bauern entfalteten in einem eifrigen und zielstrebigen Zusammenwirken und in gemeinsamem Planen, trotz mehrfacher Rückschläge, das große Werk der Christianisierung und Kultivierung des vor kurzem noch öden, heidnischen Landes. Machtvoll entfaltete sich der schaffende Geist des Menschen seit der Tätigkeit im Ordensland, der von dem starken Willen getragen war, das begonnene christliche Werk zu vollenden. Es entstanden schmucke Dörfer und freundliche, nach einheitlichen städtebaulichen Plänen geschaffene städtische Niederlassungen mit schönen Kirchen und Rathäusern und auch machtvollen Schutzburgen für Zeiten der Not und Gefahr.

Heilsberg - Dos Bischofsschloß

Soweit diese Dörfer und Städte durch den letzten Krieg nicht zerstört worden sind, künden sie bis in die Gegenwart davon, wie der deutsche Mensch der Vergangenheit dort zu wirken und zu leben gesonnen war. Die Prachtbauten der Marienburg an der Nogat, des Doms zu Marienwerder, des Rathauses zu Thorn, des Schlosses zu Heilsberg, des Schlosses und Doms in Königsberg, der Bischofskirche in Frauenburg und viele andere Baudenkmäler haben seit jeher einen Ehrenplatz in der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte eingenommen.

Wenden wir uns noch kurz besonders unseren Ermländern zu. Die Bischöfe des Ermlandes waren gegenüber ihren Nachbarn der drei weiteren ostpreußischen Diözesen immer Weltgeistliche und daher vom Ritterorden unabhängig. Da die drei weiteren Bischöfe immer aus dem Ritterorden hervorgegangen sind, waren diese entsprechend auch an den Orden gebunden. Dies zeigte sich besonders, als im Jahre 1525 der Hochmeister des Ritterordens, Albrecht von Hohenzollern, zum Protestantismus übertrat und Bischöfe und Untertanen zwang, mit ihm den neuen Glauben anzunehmen. Der unabhängige Bischof des Ermlandes brauchte sich diesem Zwange nicht zu beugen und blieb mit seinen Diözesanen dem alten Glauben in Treue verbunden.

Auch in der Besiedlungsform wurden unterschiedliche Wege beschritten und dies aus folgendem Grunde: Der Ritterorden hatte nach der Landnahme die selbstverständliche Aufgabe, das Land vor den häufigen Überfällen durch feindselige Nachbarn zu schützen und zu verteidigen. Die Schar der vorhandenen Ordensritter und ihrer Helfer war aber auf die Dauer zu klein, um einen wirksamen Schutz zu gewährleisten. Deshalb wurden, außer im Ermland, in die drei übrigen Diözesen neben wenigen Bauernstellen vorwiegend Großgrundbesitzer angesiedelt, welchen zur besonderen Auflage gemacht wurde, in jedem Kriegsfalle mit gepanzertem Streitroß und mehreren Waffenknechten den Ordensrittern Beistand zu leisten. Diese Güter führten den Namen Rittergüter. Bei der häufigen Beunruhigung der Landesgrenzen des Ordensstaates war dieser Ritterdienst meist sehr hart.

Ganz anders lagen die Verhältnisse im Ermland. Hier wurden fast ausschließlich Bauern angesiedelt, denen zur freien Verwaltung und Entfaltung Ackernahrungen von 180 bis 240 Morgen zur Verfügung gestellt wurden. Zwar erhielten die Landstädte auch Burgen, die mit einer beschränkten Besatzung den Schutz der Bürger zu gewährleisten hatten; sie waren aber vom Heeresdienst befreit.

Dieser Umstand besagt uns, daß die Ahnen unserer im Raum Ahrbrück angesiedelten Bauern sich seit dem 13. Jahrhundert im Ermland frei entwickeln konnten. In ihren dörflichen und städtischen Siedlungen bildeten sie kulturelle und wirtschaftliche Gemeinschaften, die vom christlichen Geist erfüllt waren.

Sie pflegten eine selten dankbare Verbundenheit zu ihren Bischöfen und geistlichen Betreuern, die sich bis auf den heutigen Tag in einer fürsorglichen Hilfsbereitschaft auswirkt. So wurde das Ermland zu einem beispielhaften Bauernland entwickelt. Es bildete gleichzeitig ein sittliches

Bollwerk im nordöstlichsten Teil Deutschlands. Dieser glückliche Lebensstrom wurde durch den Einbruch der Russen in Ostpreußen, denen auf dem Fuße die Polen folgten, bereits Ende 1944 jäh abgerissen. Verschleppungen, Flucht und Vertreibung und unbeschreibliche Entbehrungen waren die Folgen.

Seit 13 Jahren sind nun die Ermländer im Raum Ahrbrück ansässig. Wir wollen und müssen es verstehen, daß den Neusiedlern bei der Zuweisung ihrer neuen Heimat die völlige Umstellung unter ganz anderen Klima- und Bodenverhältnissen, inmitten einer neuen Umwelt nicht leicht gefallen ist. Wir haben aber längst erkannt, daß sie mit ihrer ihnen angeborenen Zähigkeit und mit ihren reichen Erfahrungen als Bauern sich den neuen Verhältnissen angepaßt haben und eifrig bestrebt sind, die ihnen zugeteilte Scholle mit derselben Liebe und Verantwortung zu pflegen und nutzbar zu machen, so, wie sie es in ihrer einstigen Heimat gewohnt waren. Für ihre damaligen seelischen Belastungen ist beachtlich der Trost und Mahnruf eines ihrer verdientesten Betreuer, des Prälaten Kather, wenn er an einer Stelle seinen Landsleuten zuruft: "Und alles Leben muß ein Hineinholen der Heimat sein in der Fremde. Es mag sein, daß der Ort, in dem ihr wohnt, nie zur Heimat wird; aber ihr habt eine neue Heimat."