Mit Wilhelm Hay am Pulsschlag des Eifeldorfes
Von Dr. Peter Blum
Es begann im Jahre 1919. Der Vorsitzende des Trierischen Bauernvereins für die Pfarrei Beinhausen, Anton Blum, hatte eine Versammlung einberufen, die Bauernsekretär Wilhelm Hay hielt. Von den zahlreichen und aufmerksamen Zuhörern hat wohl kaum einer die Ohren besser gespitzt als der Sohn des Vorsitzenden Peter.
Der geborene Erzähler von damals ist Wilhelm Hay zeit seines Lebens geblieben. So haben wir im Oktober 1961 bei der Erwachsenenbildung des Bistums Trier in Schuld an der Ahr getagt, so haben wir uns zuletzt für diese Welt gesehen am Buß- und Bettag 1961 in Trier aus gleichem Anlaß. „Noch nie verdarb, wer auf der Väter starkem Grund sein. Brot erwarb." So lautete ein Leitsatz von Wilhelm Hay, der auch über dem Weg seines eigenen Lebens stand, genauer: über dem Wohnsitz dieses Daseins der sieben Jahrzehnte; polizeilich, tatsächlich und geistig ist das Eifeldorf die nährende Heimat gewesen und geblieben, auch bei wechselnder Arbeit.
Erste gemeinsame Bewährung auf sicherem Boden waren die Bauernkurse auf der Bucheler Höhe, jeweils eine halbe Woche lang, über Tagesfragen, die wir dorfweise abhielten und die unter dem Namen des Bauernvereins, gedruckt in den „Bauernstimmen" und sonstwo, erschienen. Es reichte sogar zu dem großen Bauerntag auf dem Büchel mit einem Reichstagsabgeordneten als Hauptredner.
Schon ziemlich ins Weite wirkte die gute persönliche Note, die Wilhelm als Redakteur des Paulinusblattes diesem von Büchel aus für das ganze Bistum Trier erfolgreich aufprägte, Sachkundige Zeitgenossen loben ihn dafür noch heute.
Der handfeste Alltag blieb der zuverlässige Sockel für die geistige Höhe und Arbeit am wirtschaftlichen Aufstieg der Heimat, wenn auch ohne eigenen Ackerbau. Aus dem gastlichen Elternhaus bei der Kirche und dem Löwendenkmal des Weltkrieges 14/18, genannt „Der Bär", verlagerte sich seine Wohn* und Werkstatt in die burgartige ehemalige Windmühle. Nennt man außer den Büchern, Zeitschriften, Vorträgen, Lehrgängen auch einmal etwa den Kreistag Cochem, die Molkereigenossenschaft, das Gruppenwasserwerk, den Flugplatz, die Beschäftigung bei der Amtsverwaltung Lutzerath, so ist Wilhelm Hay nicht bloß der Schriftleiter des Paulinuskalenders, der Jugendreferent des Bauernverbandes, sondern ein in Büchel wohnhaft gebliebener Heger und Pfleger des altvertrauten Eifeldorfes durch alle Umschichtungen hindurch.
„Ältestes bewahrt in Treue, freundlich aufgefaßtes Neue", hätte man über seinen Fleiß und Kummer schreiben dürfen, den er für die materielle und geistige Kultur des Dorfes, seines Dorfes, einsetzte, einsam, alleingelassen. Immer wieder brauchte er den Zuspruch, die Pflege des Dorfes breche nicht mit uns zweien ab, wie er in jedem Gespräch klagte. Dabei ließe sich aus dem Schrifttum von Wilhelm Hay ein Standardwerk des Eifeldorfes von 1900 bis 1960 schaffen: der kleine Bauer, der Handwerker, die Bauersfrau, Bursch und Mädel, Pastor und Lehrer, Student und Pendler zwischen Bergdorf und Niederrhein. Gern hätten wir noch den erbetenen Büromenschen in einer Darstellung gesehen.
Diesen Eifelstrauß auf das frische Grab von Wilhelm Hay bindet die Freundeshand nicht als die etwaige literarische Würdigung einer beachtlichen Reihe Bücher aus seiner fleißigen Feder. Das ist früher zum Beispiel im Südwestfunk und zu seinem siebzigsten Geburtstag verdientermaßen geleistet worden. An dieser Stelle gilt es vielmehr, die wertvollen menschlichen und charakterlichen Eigenschaften des von Jugend an bekannten Weggenossen Wilhelm Hay in ihrem erlebten Wesen zu kennzeichnen. Das kann nur die abgewandelte Oberschrift dieses Nachrufs wiederholen:
Wilhelm Hay saß mit am Pulsschlag des Eifeldorfes.
Er hat ihn unbeirrt aufzeichnen helfen einschließlich der Fieberkurven. Seine Schriften überliefern aus dem Eifeldorf gedruckt das, was ein Museumsdorf wie Kommern in Häusern oder das Eifelmuseum in Mayen durch seine Stuben anschaulich erhalten will. Dar» um sollte eine Stube bei Kommern, im Weichbild der vertrauten Windmühle, und eine in seinem Schulort Mayen für Wilhelm Hay eingerichtet werden, mit Lichtbildern, Büchern und sonst passenden Gegenständen seines Bereichs, des Eifeldorfes, das er so treu und anschaulich gehütet hat. Mehr als das: Hay hat das Eifeldorf lebendig erhalten, ehe die Motorisierung darin oft mehr als nötig eingeebnet hat. Sollte sich etwas nicht mehr erhalten haben, so ist es bei Wilhelm nachzulesen, genau und liebevoll verewigt, mit den zugehörigen Menschen des Bereichs.
Freuen wir uns eigentlich nicht an allen diesen Gestalten, die er uns so sanft anreicht: sie beten wie ein Büßer, sie schaffen wie im Akkord, sie essen reichlich wie in Flandern, sie ärgern sich schwarz, sie singen wie mit Posaunen, sie sterben im Gehorsam. Dem Totentanz und dem Lebensreigen des Eifeldorfes ist Wilhelm Hay gleicher Freund, er hat selbst Spaß an den prächtigen Kerlen, die er da an ihrem Schöpf hochhebt, aus dem vollen Leben, und sie vorzeigt, leicht ungeschminkt in den Namen der Menschen und Dörfer.
Wir erheben unsern Freund Wilhelm Hay in den Himmel der Meister, in den Olymp der Eifel, unserer „hochberühmten Mutter der gelehrten Männer" (Eiflia doctorum genitrix praeclara virorum). Der Frohsinn aus seinen Augen soll uns weiterhin leuchten, unsere Kinder und Enkel sollen noch helfen, von seinem kräftigen Brot mitzuessen! Seine Spuren verlaufen von Büchel in jede Gegend der Eifel, oft weit darüber hinaus. In seinen Bildern fehlt nicht die kleine Stadt, die Burg und das Kloster, die Kirchen und Kreuze, Wälder und Wetter und die gesprochene Mundart.
Wilhelm Hay ist befugt, für alle in der Eifel des 20. Jahrhunderts zu sprechen, zu jedem; der gern etwas sieht und hört davon, wie unsere Generationen im Dorf und draußen sich mühen und gemüht haben, die stürmischen Aufgaben dieser Jahre und Jahrzehnte glücklich zu lösen.
In einer der ersten Bauernversammlungen von 1919 hat einer, der darüber nachdachte, sich so ausgedrückt: „Wenn ich den Herrn Hay da vorn sehe und sprechen höre, so kommt mir das vor wie in der Biblischen Geschichte im Alten Testament." Ein Prophet, ein Künder dessen, was unser Eifeldorf zur unverwechselbaren Heimat macht.