„Als
schönste Erinnerung bleibt mir dies prächtige Ahrtal..."
WOLFGANG MÜLLER in Bodendorf und Bad Neuenahr Von Dr. Dr. Walther Ottendorff-Simrock Wolfgang Müller von. Königswinter. Relief von Gustav Blaeser 1840 Heimatmuseum Königswinter |
Der am 7. März 1816 in Königswinter geborene Dichter Wolfgang Müller ist nach Abstammung und Wesensart ein echter Rheinländer, und zeitlebens hat er den Namen „Der rheinische Poet" mit besonderem Stolz getragen. Auch wenn die meisten seiner Dichtungen heute längst verweht sind, so leben doch noch so manche rheinischen Sagen, die er gestaltet hat, fort.
Während der Vater, Dr. med. Johann Georg Müller, einer katholischen Familie aus Mülheim am Rhein angehörte, stammte die Mutter, Johanna Katharina geb. Fuchs, aus Bodendorf an der Ahr. Von ihr, die vierzehn Jahre jünger als ihr Gatte war, sagt die Tochter Wally in ihren Erinnerungen: „Meine Mutter war heiter und voll gesunder Lebenslust bis in ihr hohes Alter. Ihr fröhliches und wohlwollendes Gemüt machte ihr alle Herzen zugetan."
BODENDORFER HERBSTTAGE
Die Großmutter Wolfgang Müllers, Johanna Walburga Fuchs, geb. Jansen, besaß in Bodendorf ein schönes Gut, das einst dem Freiherrn vom Stein gehört hatte; es bestand aus vortrefflichen Weinbergen, Obstwiesen, fruchtbaren Äckern und einem Hause, in dem sich im Herbst zur Zeit der Weinlese ihre zahlreiche Familie versammelte. Sie hatte zwei Söhne, die beide in Holland lebten, und sechs Töchter, die alle verheiratet und mit einer reichen Kinderschar gesegnet waren. Wolfgang Müller berichtet in seinen „Denkwürdigkeiten" hierüber: „So reihte sich denn hier Schlafzimmer an Schlafzimmer, und in denselben stand wiederum Bett an Bett. Beim Frühstück und bei Tische fanden sich, da es auch an sonstigen Gästen nicht fehlte, oft ungezählte ältere und jüngere Personen ein. Es herrschte zugleich mit der weitesten Gastfreundschaft der heiterste Ton. Leider starb die gute Frau im Jahre 1822), als die Mutter Wolfgang Müllers in Bergheim, wohin der Vater als Kreisphysikus versetzt worden war, am Nervenfieber darniederlag. Nach ihrem Tode aber wurde das Gut geteilt. Mein Vater verkaufte damals sein kleines Besitztum in Königswinter, kaufte zwei Teile von Schwägern an, und wir kamen fortan unter anderen Verhältnissen an der Ahr zusammen"2).
ALFRED RETHEL BESUCHT DAS AHRTAL
Nach der Übersiedlung der Familie Müller nach Düsseldorf im Sommer 1828 wurde das Doktorhaus am Karlsplatz ein Anziehungspurikt für die jungen Künstler: die Brüder Steifensand, von denen der Ältere, Wilhelm, bei Mendelssohn=BarthoIdy studierte, der Jüngere, Xavier, sich als Kupferstecher ausbildete, Andreas Achenbach und Alfred Rethel, der später hochberühmte Maler der Karlsfresken im Rathaus von Aachen. Rethels Neigung zu Wolfgangs Base, die im Doktorhaus lebte, schlang das Band noch fester. Gleichgestimmt zogen sie im Herbst 1833 mit Wilhelm Steifensand, dem Musiker, von Koblenz bis Bin= gen und ließen sich von der Schönheit begeistern, die die Wanderung ihnen schenkte. Rethel hat in einem ausführlichen Brief an seine Eltern, der eine auffallende Reife des erst achtzehnjährigen Jünglings verrät, diese vierwöchige Entdeckungsfahrt geschildert3).
Im folgenden Herbst (1834) durfte Wolfgang Müller seinen Freund Rethel zur Traubenlese nach Bodendorf mitnehmen. Diesem Besuch hat er eine von dem frohen gemeinsamen Erleben erfüllte Schilderung gewidmet4), während Rethel dankbar von der „guten Familie Müller" nach Hause berichtete.
Wolfgang Müller schreibt: „In den Ferien des Jahres 1834 hatte ich die Freude, Alfred Rethel als Gast im Kreise der Meinigen zu Bodendorf an der Ahr zu sehen, wo meine Eltern ein Weingütchen besaßen und sich gewöhnlich vor und nach der Traubenlese aufhielten. Da der herrliche Herbst von 1834 ganz besondere Genüsse versprach, so erhielt ich die Erlaubnis, einige Bekannte von Düsseldorf mitzunehmen. Ich hatte in jener Zeit meine nächsten Freunde unter den Künstlern und lud auch Rethel zum Besuch ein. Wir machten diesmal eine Fußreise mit dem Ranzen auf dem Rücken. Der erste Tag brachte uns von Düsseldorf nach Köln, wo wir die Nacht im Kölner Hofe blieben. Am zweiten Tage gelangten wir nach Bodendorf, wo wir fröhliche Zeiten verlebten und in lauter Jugendlust Berg und Tal durchschwärmten. Altenahr und seine wilde, felsige Umgebung, deren Besuch damals so recht in Mode kam und auch seitdem die Mode geblieben ist, lockte die jungen Wanderer an, bei welcher Gelegenheit dann der feurige rote Wein des Tales in Ahrweiler sowie in St. Peter zu Walporzheim und beim lustigen Wirt Caspary in Altenahr nicht ungekostet blieb."
RHEINISCHE DICHTER IN BODENDORF
An dieser Stelle mag auch der Freundschaft gedacht werden, die Wolfgang Müller, mit Ferdinand Freiligrath, dem damals weitberühmten Dichter des „Löwenritt" und anderer Verse, darin er farbentrunkene Bilder fremder Zonen malte, verband. Am 10. Juni 1838 schrieb Wolfgang Müller ihm aus Bodendorf: „An der Ahr habe ich mich trotz des schlechten Wetters doch erfreut. Unsere kleine neugebaute Villa naht sich der Vollendung5). Ich habe mir darin ein Giebelstübchen ausgesucht, von wo aus der Blick über die grauen, rauchenden Schornsteine des stillen Dorfes nach den grünen Rebenhügeln des Rheins wegschweifen kann. Im Geiste habe ich mir dann den kleinen Raum nach meiner Weise ausgeschmückt und mich von Ahnungen künftiger Zeit beschleichen lassen: wie ich hier dereinst in abgeschiedener Einsamkeit in die eigene Seele hinabsteigen will. Oh ihr hinfälligen Kartenhäuser toller Phantasie, die ein Lüftchen, ich will nicht sagen ein Sturm, des Schicksals umweht! — Aber ich freue mich, Dich einst dort bewirten zu können. Wenn Du mich hier besuchen kommst, ist vielleicht meine Mutter in Bodendorf. Dann wollen wir die liebe gute Frau mit unserer Gegenwart beehren. Den Simrock6), dem ich heute Deinen Gruß brachte und der sich sehr freut, Dich hier zu sehen, nehmen wir dann mit. Simrock ist ein tüchtiger Kerl, eine freie, deutsche Seele, schlecht und recht, ohne Falsch und Trug und ohne die lausigen Faxen und Komplimente unserer Zeit. Anfangs schien er mir kalt, aber er ist es nicht; er wirft sich nicht weg; aber gibt er sich, so gibt er sich treu. Das sind immer die besten Kunstwerke und die besten Menschen, die einem mit jedem Tage besser gefallen."
Nachdem Freiligrath im Herbst 1839 seinen Wohnsitz nach Unkel verlegt hatte, wurden die Beziehungen zu Wolfgang Müller noch enger und herzlicher. In einem am 20. 12. 1859 in Unkel datierten Brief erwähnt Freiligrath einen gemeinsamen Ausflug zur Landskron. Auch ein anderer rheinischer Poet, Alexander Kaufmann aus Bonn, der Bruder des damaligen Oberbürgermeisters, gedenkt ein Jahrzehnt später7), der gemeinsam verlebten Tage im Ahrtal, das er in manchen Versen besungen hat.
KLEINES KAPITEL VON DER „GROHS"
Wolfgang Müllers 1856 geborene Tochter Else, später die Frau des Malers Norbert Schrödl8), hat in ihren „Erinnerungen" natürlich auch des fröhlichen Lebens in Bodendorf gedacht. Das von Müllers Vater erbaute Haus und der inzwischen noch erweiterte Besitz waren im Oktober 1862 verkauft worden; zur letzten Weinlese, an der er seit seinen jungen Jahren so oft und gern teilgenommen hatte, hielt sich Müller vom 25. bis 29. September in Bodendorf auf. Die Großmutter siedelte im Frühjahr 1863 nach Remagen über. Für die 1856 geborene Enkelin setzt erst hier die Erinnerung an die prächtige Frau ein, die ihren Sohn Wolfgang noch um drei Jahre überlebte: „Unsere liebe alte ,Groß', so wurde sie von jedermann genannt. Sie war die gute Mutter meines Vaters. Ein größerer Kontrast wie zwischen den großelterlichen Häusern väterlicher und mütterlicher Seite war für uns Enkel nicht denkbar. Wir lernten dadurch schon in jungen Jahren erkennen, daß das Glück nicht vom Reichtum abhängig ist. Unsere ,Groß' hatte früher ein kleines Weingut in Bodendorf an der Ahr besessen, das inzwischen verkauft worden war. Als ihre Erscheinung in mein Leben eintrat, bewohnte sie den 1. Stock im. Hause des Bürgermeisters von Remagen. Diese Wohnung enthielt nur wenige Zimmer, aber immer eine Fülle von Menschen. Die Wände waren wie von Kautschuk, das Umögliche wurde möglich gemacht. Es mir ganz weich ums Herz, jetzt, da ich meinem lieben ,Größchen' berichten will.
Sie war so gut, so fröhlich und konnte so schöne Geschichten erzählen. Ich sehe sie noch, unermüdlich fleißig, an ihrem Nähtisch sitzen und dabei schelmisch über die Brille gucken, wenn sie uns gar zu wunderbare Märchen auftischte. Wie behaglich fühlten wir uns in ihrer Nähe, und wie schmeckte uns bei ihr das einfache Essen, das ihr Factotum, die alte Agnes, so vortrefflich zu bereiten verstand! Da brauchte man sich zu Tisch nicht umzuziehen, geradezusitzen und für Unterhaltung zu sorgen. Da ging alles von selbst. Auch gab es keine Spazierfahrten. Nur als die alte ,Groß' nicht mehr zu Fuß über den Berg nach Bodendorf konnte, leistete sie sich manchmal einen Einspänner, aber dann wurde vorher lange über den Preis verhandelt. Bei der Gelegenheit hörte ich auch einmal die ,Groß' den Kutscher fragen: ,Ist das Pferd auch fromm?', worauf prompt die Antwort erfolgte: ,Frau Doktor, dat Pähd is heut früh als in de Mess' jewese'."
AUCH HERR VON BISMARCK WEILTE IN BODENDORF
Wilhelm Müllers Schwester Wally heiratete den Maler und späteren Professor am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt Jakob Becker. In den „Erinnerungen aus meinem Leben"9) schildert Wally Becker auch die Freundschaft zwischen den Familien Becker und von Bismarck, die sich seit dem Jahre 1854 entwickelt hatte. Otto von Bismarck war bis Mitte 1859 preußischer Gesandter in Frankfurt. Er hielt viel von seinem Freund Becker, der ihn und seine Frau gemalt hatte10).
Als Herr und Frau von Bismarck im Sommer 1855 den König von Preußen nach Köln begleiteten, besuchten sie anschließend Beckers bei der „Groß" — so wurde sie auch von Bismarcks genannt — in Bodendorf; bei dieser Gelegenheit lernte auch Wolfgang Müller den Gesandten und seine Frau kennen. Als Beckers älteste Tochter, die zwanzigjährige Johanna, im Januar 1859 plötzlich starb, nahm die Familie Bismarck Wally Becker und ihre beiden Kinder für drei Wochen in ihr Haus, und Wolfgang Müller suchte seine Schwester dort auf.
... UND STRUWWELPETER.HOFFMANN
Dr. med. Heinrich Hoffmann, der Verfasser des weltberühmten Kinderbuches ,"Der Struwwelpeter", schreibt am 11. 11. 1846 aus Frankfurt am Main an Wolfgang Müller von Königswinter: „Meine Heimkehr von Euch war gut, aber sehr langsam. Als schönste Erinnerung bleibt mir von der Natur dies prächtige Ahrtal, und von den Menschen der freundliche Empfang in Bodendorf. Deine gute Mutter wird wohl jetzt wieder bei Dir sein, und in dem lieben Hause an der Ahr ist's wohl jetzt stille, der neue Wein lärmt jetzt nicht mehr in den Menschenköpfen wie damals in unseren, nur unten im Keller wird's kochen und tosen."
DIE AHR IN WOLFGANG MÜLLERS DICHTUNG
Im Dezember 1841 erschien im Verlag J. H. G Schreiner in Düsseldorf Wolfgang Müllers zweite Gedichtesammlung „Balladen und Romanzen". Sie enthielt in dem Abschnitt „Deutsche Sagen" die Sagen „Altenahr" und „Schwert und Pflug". Wolfgang Müller folgte hier dem 'Beispiel, das ihm Uhland, der erste und immer verehrte dichterische Lehrmeister seiner jungen Jahre, und, ihm zur Seite, Simrock gegeben hatten. Bei einigen der Originaldichtungen läßt sich die Entstehungszeit angeben: „Altenahr" und „Schwert und Pflug" wurden schon in der Düsseldorfer Gymnasiastenzeit „angelegt", als der angehende Dichter noch ganz im Banne Uhlands stand. Im Nachwort zur 2. Auflage der „Lorelei", 1857, sagt Müller selbst: „Der Ritter von Altenahr, Schwert und Pflug wurden angelegt, als ich in Düsseldorf das Gymnasium besuchte. Während meiner Studienzeit in Bonn fand ich bei meinem trefflichen Freund Karl Simrock vielfach Ermunterung und Anregung.
Manche meiner Balladen fanden Aufnahme in der zweiten und dritten Auflage seiner ,Rheinsagen'. "Wolfgang Müllers Gedicht „Altenahr" wurde zuerst in der „Rheinischen Zeitung" (Nr. 205 vom 24. 7. 1842) veröffentlicht, und zwar zusammen mit Kinkels „Auswanderer aus dem Ahrtal".
„VOM WEIN ZUM WASSER"
Bodendorf, damals noch überwiegend Winzerort mit einem geschätzten Ahrwein, dem der Rheinische Antiquarius Christian von Stramberg den zweiten Platz unter den Ahrweinen zuweist, zählte zu Wolfgang Müllers Zeit etwa 460 Einwohner. Seine heilende Quelle lag noch im Schöße der Erde verborgen. In der Nähe aber war im Bannkreis von drei Winzerdörfchen ein Kurort entstanden, dessen warme alkalische Säuerlinge bald Weltruf gewinnen sollten: Bad Neuenahr. Im Jahre 1858, am 28. Juli, empfingen diese Quellen ihre Weihe durch die Hand der Prinzessin Augusta von Preußen, der späteren ersten deutschen Kaiserin. Und Wolfgang Müller, der „rheinische Poet", war es, der die hohe Frau und den „Segensquell von Neuenahr" in seinem Festcarmen besang:
Gewässer,
sprudelnd, edel, rein!
Das ist der Brunnen
mit dem Hort,
der Forschergeist hat sie entdeckt,
der wunderbar die Menschheit schmückt,
er hat ins Leben sie geweckt,
daß sie die Menschheit weit beglückt.
In der Folgezeit finden wir den Namen des Dichters fast Jahr für Jahr in der Gäste= liste des Bades. Von 1866 bis 1870 gehörte er dem Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr an. Um für das Bad zu werben, schrieb er Artikel, die 1867 in „Über Land und Meer", in der „Illustrier ten Leipziger Zeitung" und auch in einer holländischen illustrierten Zeitschrift erschienen. 1870, bei Ausbruch des deutsch=französischen Krieges, wurde Wolfgang Müller wieder Arzt und arbeitete „Tag und Nacht auf dem Bahnhof, um Verwundete zu verbinden und zu verpflegen"
(Tagebuch seiner Gattin). Am 29. Juni 1873 schließt der Siebenundfünfzigjährige in dem von ihm geliebten Bad Neuenahr die Augen.