HEINRICH THIEBES
Kirmutscheid
das Idyll im Trierbachtal
In der letzten Auflage des „Eifelführers" (1954) im Verlage des Eifelvereins, Bad Godesberg, Hohenzollernstr. 22, liest der Wanderfreund: „Wanderung von Adenau nach Blankenheim (30,1 km). Von Adenau Straße über (+ 0,3 km) Honerath, das reizvolle (+ 4,2 km) Wirft. 1,3 km weiter das Kirmutscheider Kirchlein auf der Felsenhöhe." Es lohnt sich, in der friedlichen Stille zu Füßen des Felsenhügels Rast zu machen und dem schmucken Kirchlein einen Besuch abzustatten. Der Chronist berichtet über die Geschichte Kirmutscheids das Folgende: Kirmutscheid ist eine Gründung des Grafen von Nürburg. Als Erbauer — es war im Jahre 1214 — ist der Graf Ulrich verzeichnet. Sein Sohn übereignete im Jahre 1224 die Kirche an den „Hohen Altar" zu Adenau, der dem Johanniterorden gehörte. Somit war Kirmutscheid eine Filiale von Adenau geworden. Das Jahr 1780 brachte die Auflösung des Johanniterordens, und Kirmutscheid wurde eine selbständige Pfarrei. Sie bestand aus den Dörfern Wirft und Kottenborn sowie aus der im Wirftbachtale — nahe bei der scharfen Kurve am Linnertsberg — gelegenen Wallfahrtskapelle „Not Gottes", genannt „Müllenwirft". Im Jahre 1806 wurde Kottenborn der Pfarrei Adenau zugeteilt. Nach dem Ausscheiden Kottenborns wurde Hoffeld eingepfarrt, das bis dahin zur Pfarrei Barweiler gehörte. Über Entstehung und Erbauung der Wallfahrtskirche „Müllenwirft" ist wenig bekannt. Es darf aber angenommen werden, daß sie schon um 1500 bestanden hat, da aus dieser Zeit im Lagerbuch der Kirche von Kirmutscheid ein sogenannter Bettelbrief erwähnt wird. Durch diesen Brief wurde die Erlaubnis gegeben, für die Kapelle, genannt „Not Gottes", zu kollektieren. Die Kapelle scheint sehr geräumig gewesen zu sein, denn in ihr standen ein Hauptaltar und zwei Nebenaltäre. Die letzteren waren allerdings im Schiff untergebracht. Außerdem befanden sich im Schiff vier Beichtstühle. Ein Brunnen, dessen Wasser gegen Augenkrankheiten benutzt wurde, hatte noch Platz im Kirchenschiff.
Kirmutscheid
Der Turm war über dem Chor aufgebaut. Zwei Glocken ließen ihre Stimmen weithin ins Tal erschallen. An den Muttergottesfesten sowie Oster= und Pfingstdienstag kamen viele Pilger von nah und fern, um an heiliger Stätte zu beten. Papst Alexander VII., dessen Pontifikat von 1655 bis 1667 währte, hatte den frommen Pilgern verschiedene Ablässe bewilligt. Der Pfarrer von Kirmutscheid war verpflichtet, an den Wallfahrtstagen in der Kapelle zu zelebrieren. Bis zum Jahre 1780 war der Johanniterorden Besitzer der Kapelle. Nach der Auflösung des Ordens wurde die Pfarrkirche von Kirmutscheid Eigentümerin. Von dieser Zeit an war „Müllenwirft" dem Untergange geweiht. Die Einrichtung wurde weggeschafft, und manches ist hierbei verlorengegangen. Ein Altar wurde in der Kapelle zu Wirft aufgestellt. Der obere Teil des Altares und die Kanzel der Pfarrkirche zu Kirmutscheid stammen aus der Wallfahrtskapelle. Die Glocken wurden an die Hoffelder Kapelle verkauft. Nachdem das Heiligtum so allen Schmuckes beraubt war, wurde es — unbegreiflicherweise — mit Genehmigung des Generalvikariates in Aachen im Jahre 1823 an den Gutsbesitzer Servatius in Barweiler für 250 kölnische Taler verkauft. Servatius ließ die Kapelle zu Scheune und Stallung umbauen. Später ging das Anwesen in den Besitz des Bürgermeisters Schmitz von Eller über, der ein Schwiegersohn Servatius' war. Schmitz verpachtete das Gelände mit Gebäude an zwei Brüder namens Müller, von denen die Ansiedlung wahrscheinlich den Namen „Müllenwirft" bekommen hat. Der genannte Bürgermeister verkaufte das Anwesen im Jahre 1884 an den Fiskus. Die Gebäude wurden auf Abbruch verkauft und bald niedergerissen. Vor zwei Jahrzehnten gab von der ganzen Anlage noch ein Keller Zeugnis, dessen Maße 10 x 5 m betrugen. Heute ist alles eingeebnet, und irgendwelche Spuren des Heiligtums sind im Wiesengelände nicht mehr zu erkennen. Außer dem Johanniterorden hatte auch die Zisterzienserabtei Himmerod Liegenschaften in der Gemarkung von Wirft, wo „Stephaner" dieser Abtei ansässig waren. (Vermutlich ist der heutige Dreimüllerhof — Stappen=Faßbender — ehemaliges Besitztum der Abtei gewesen). Die Pächter nannte man „Stephaner", weil sie am Stephanstage ihre Pacht entrichten mußten. Im Adenauer „Kreis= und Wochenblatt" vom 25. August 1878 lesen wir darüber folgendes:
„In Wirft waren „Stephaner" der Abtei Himmerod in der Eifel. Sie mußten auf St. Stephan ihre Pachte abliefern. Dafür war ihnen die Abtei schuldig die Kost gesotten und gebraten, zweierlei Brot und was sich sonst für morgens, mittags und abends gebührte. Auch dort wurde wie in Rupperath ein hölzernes Rad, welches vorher sechs Wochen und drei Tage in der Mistpudel gelegen, ins Feuer gelegt, sobald die Höfer sich zu Tische setzten. Es durfte nicht gestochen oder gerüttelt werden daran; solange dasselbe brannte, mußte Speis und Trank geliefert werden. Ließ der Abteiverwalter es hierin fehlen, dann waren die Lehnsleute berechtigt, mit ihrer Pachtlieferung ins nächste Wirtshaus zu gehen und dort von ihrer Pacht soviel zu verzehren, daß sie eben noch „Weg und Steg" halten konnten. Blieb von dem Pachtzins etwas übrig, das mußten sie auf dem Hofe in die Scheune schütten. Wenn dagegen alles drauf ging, dann sollten sie nichts bezahlt haben."
Zwei Sagen von der Kirche in Kirmutscheid (zusammengestellt und mitgeteilt von Lehrer i. R. Johann Simon, Müsch, jetzt wohnhaft in Ahrhütte bei Blankenheim) aus dem Bändchen „Die Sagen des Ahrtals" von Heinrich Stötzel, erschienen 1938 im Verlage Ludwig Röhrscheid, Bonn, seien abschließend wiedergegeben: „Graf Ulrich von Nürburg besaß in der Gemarkung Wirft viele Liegenschaften. Jedes Jahr im Herbst wurden dort die großen Jagden gehalten. Mit vielem Gefolge huldigte er dem edlen Waidwerk in den ausgedehnten Wäldern. Als er sich einmal von den anderen Jägern trennte, sah er sich plötzlich in einem großen Dornendickicht. Alle seine Bemühungen, den Dornen zu entrinnen, scheiterten; sie hielten .ihn fest. Sein Rufen verhallte ungehört. In seiner Herzensangst betete er und erflehte die Hilfe des Allerhöchsten. Er gelobte, nach seiner Errettung eine Kirche zu erbauen. Plötzlich sah der Graf eine lichte Gestalt, die ihm baldige Rettung verhieß. Auf einmal hörte er das Bellen der Meute. Das Gefolge nahte und befreite ihn aus seiner mißlichen Lage. Der Graf ging sogleich ans Werk, sein Versprechen zu erfüllen. Auf dem Berge, nach der Erscheinung „Engelberg" genannt, sollte alsbald eine Kirche erstehen. Steine wurden gebrochen, Bäume gefällt. Mit vieler Mühe wurde das Material an jene Stelle geschafft, wo der Graf von den Dornen eingeschlossen war. Bald sah man an Stelle der Dornen einen großen Haufen Bausteine. Als nun aber die Maurer mit der Arbeit beginnen sollten, war alles verschwunden. Nach langem Suchen entdeckte man auf dem vom Trierbache umflossenen Hügel, auf dem heute die Kirche steht, das Baumaterial. Die Leute der ganzen Gegend wurden aufgeboten, es wieder auf den Engelberg zu schaffen. Die schwere Arbeit begann von neuem, und bald hallte der Wald wider von den Rufen der Fuhrleute, die ihre Zugtiere immer wieder antreiben mußten. Doch all die Arbeit war vergebens; denn am nächsten Morgen mußten die Leute zu ihrem größten Erstaunen feststellen, daß wieder alle Steine weg waren. Wieder lagen sie auf dem vom Trierbach umflossenen Hügel. Der Graf erblickte darin eine Fügung des Allerhöchsten, und er ließ die Kirche auf dem herrlich gelegenen Eiland erbauen. Der Berg, auf welchem der Graf die Erscheu nung hatte, hat den Namen „Engelberg" bis auf den heutigen Tag behalten."
„Nun war die Kirche fertig, nur der Hahn fehlte noch. Der Meister kam mit seinem Jungen, um den Hahn aufzusetzen. Der Meister kletterte aber nicht selbst auf den Turm, sondern schickte den Jungen. Als dieser oben ankam, rief er: „In welches Loch soll ich den Hahn stellen?" Er war schwindelig geworden und sah deshalb zwei Löcher. Der Meister sagte nur noch: „Gott sei deiner armen Seele gnädig!" Schon fiel der Junge hinunter und blieb tot auf dem Platze liegen. Dies ist bist jetzt ein abschreckendes Beispiel geblieben; denn keiner will den Hahn mehr aufsetzen. Darum wird der Turm auch weiterhin ohne Hahn bleiben."
Der Verfasser durfte Zeuge sein, als im März des Jahres 1936 durch Turmdecker aus Niedermendig ein neuer Wetterhahn auf den hohen Turm gesetzt wurde. Der Hahn, den der Schmiedemeister Karl Berens aus Wirft angefertigt hatte, wurde vorher in feierlichem Zuge durch den Ort geführt. Viele Schaulustige hatten sich auf dem Kirchplatz eingefunden, und ein befreiendes Aufatmen ging durch die Reihen der Zuschauer, als die gefahrvolle Arbeit beendet war. Hätten die Leiendecker den Wein und Trester, der ihnen nach getaner Arbeit von dem Pfarrer Jakob Klaes neben einem guten Lohn in reichlichem Maße gegeben wurde, vor dem Turmaufstieg genossen, wäre ihnen sicherlich das Los des vorhin genannten Lehrjungen nicht erspart geblieben.