„Wasser"-orte an der Ahr
Von Studienrat a. D. Dr. Spessart, Sinzig
1. Viel weniger Orte, als man allgemein annimmt, führen ihren Namen auf den ihres „Gründers" zurück. Dagegen sind viele Orts-, Flur-, Landschafts- und Ländernamen geographisch und topographisch bedingt, d. h. aus der geographischen Lage im allgemeinen und aus der Ortslage im besonderen entstanden. Die ältesten Namensgeber, bis in die Steinzeit hinein, vermochten mit ihrem Verstand die Dinge richtig zu sehen und verfügten jeweils über eine Sprache, die es ihnen ermöglichte, dem richtig Erkannten treffenden Ausdruck zu verleihen.
2. Der schlichte Name „Ahr" besteht aus zwei Teilen:
a) Der erste Teil ist Ah — „Wasser". Bäche und Flüsse A, Aa, Ah kommen vom Kanal bis Lettland vor. In der Eifel mündet der Ah-bach bei Ahrdorf in die Ahr.
b) Der Buchstabe r gehört zu den Wurzeln rhe und rho; sie bedeuten „fließen". Griechisch rheo ist = „ich fließe". Der Rhenus = Rhein, der Reno in Italien, der Rhodanus = die Rhone, der Rhin nö. Berlin, der Ryk in Vorpommern, Rur und Ruhr: sie alle bedeuten ganz richtig „der Fließende".
c) Griechisch ar-do ist — =„ich gebe Wasser, bewässern, tränke"; ho ardmos ist = „Bewässerung, Tränke".
d) Altgermanisch ara ist — „Flußwasser" als das in unvermeidlicher Bewegung befindliche. Die „Ahr", altgerm. und latein. Ara, später Are geschrieben, ist also = „Wasser fließendes". Die Ahr kann außerdem auch Arar, Arura und Araris*) geheißen haben. Auch die Saone in Ostfrankreich hat früher einmal Arar und Araris geheißen. Ein Araros war Nebenfluß der unteren Donau. In Frankreich gibt es eine Ar, in Spanien eine Ara und in der Schweiz die Aare. Wir beginnen nun mit den „Wasser"-orten an der Ahr.
3. Ahrhütte. „Hütte", althochdeutsch „hutta", ist verwandt mit angelsächsisch hydan = „verbergen";'ferner mit griech. keuthein = „verbergen" und „geborgen sein" .Griech. keuthmoon ist = „Schlupfwinkel, Wohnung, Gemach". Ahrhütte ist also „Schlupfwinkel, Wohnung am fließenden Wasser".
4. Ahrdorf. „Dorf" ist verwandt mit dem lantein. turba = „Haufe, Schar". Es bedeutet im Gegensatz zur altgerm. Einzelsiedlung die „Ansiedlung eines Haufens, einer Schar". Ahrdorf bedeutet eine „Mengensiedlung am fließenden Wasser".
5. Müsch ist dem Namen nach so ziemlich die älteste Siedlung an der Ahr. Darauf deutet zunächst einmal die topographische, d. h. die örtliche, althistorische Lage im Mündungswinkel zweier Flüsse. Darüber hinaus weist der sprachwissenschaftliche Befund für „Müsch" in graues Altertum zurück. In jenen alten Zeiten „mündet" ein Fluß nicht in den anderen, sondern es „fällt" in ihn (vgl. Zweifall südl. Stolberg); oder man sagte: er „mischt sich" in den anderen. „Mischen" heißt griech. u. a. misgein, latein. miscere (sprich miskere). „misk" ist demnach ein ganz alter indogermanischer Stamm. Eine „enge Stelle" oder eine Schlucht, an der oder in der Bergflüsse zusammenliefen, war für die Griechen eine „Mischungsenge". Eine „enge Stelle" ist demnach ein ganz, alter indogermanischer Stamm. In der Nähe der Mündung des Tscharbahur in den östlichen Euphrat (= Murad) liegt „Müsch", und östl. Monreal, im Tal der Eltz, gibt es an der Einmündung eines kleinen Bächleins in diese die Siedlung „Müsch". Unser Müsch liegt da, wo der Trierbach in die Ahr mündet. Es bedeutet, zur Bezeichnung dieser Mündung, offensichtlich „Mischung".
6. Antweiler.
a) Der Stamm der ersten Worthälfte ist ein uraltes ad, adde, ade ( id, ud), die auch „Wasser" bedeuten. Dieser Stamm wurde nasaliert, d. 'h. es wurde ein n eingeschoben. So erhielten wir „and, ande, inde, unde".
Sanskrit indu ist „Tropfen"; latein. unda ist = „Welle, Woge", undare = „wallen wogen". Daher die „Inde", linker Nebenfluß der linksrheinischen Rur, Das d wurde zu t verschoben; aus „and" wurde also „ant". Dieses liegt vor bei Antweiler südl. von Euskirchen; beim Fluß Anton in England (zum Kanal); beim Ant-el-bach westl. Andernach. Ur-Andernach lag nicht am Rhein, sondern mehr westlich am Ant-elbach. Ferner: Fluß und Stadt Andiesen, Tirol (Inn), hießen früher Antesen. „Ant" ist auf jeden Fall „wallendes, wogendes Wasser". Der nicht durch n veränderte Urstamm ad = „Wasser" liegt im Kreise Ahrweiler vor bei Adenau = „Wasser-aue, wasserdurchflossenes Wiesenland", bei der schönen Wiesenflur „die Aden-au" bei Ahrdorf und beim Andenbach = „Wasserbach" in Ahrweiler; welchem Volkstum bzw. welcher Sprache der Stamm ad angehört, kann ich nicht entscheiden.
b) Mit = „weiler, Weiler" hat man es sich früher recht bequem gemacht. Entweder war etwas ligurisch oder keltisch oder römisch-lateinisch. Daß Altgermanen westl. des Rheines sogar bis über die Wasserscheide zur Mosel hin viele Jahre vor den Römern da waren, also auch Spuren hinterlassen haben müssen, daran dachte man . nicht. „Weiler = weiler" hat man früher kurzerhand auf latein. villare = „zum Landhaus gehörig" zurückgeführt. Dann müßten alle „Weiler"- und -„weiler" Orte im Anschluß an römische Villen, also auch auf einst lateinisch sprechendem Gebiet, entstanden sein. Sehr viele bzw. genau so viel „weiler"-Orte liegen aber da wo die Römer nicht gewesen sind. „Weiler-weiler" ist zwar mit latein. villa urverwandt. Es selbst aber stammt von germ. althochd. hwilan (sprich chwilan) - „verweilen". Demnach ist Antweiler der Ort zum „Verweilen am wogenden Wasser".
*) Bei diesen Worten liegt die Betonung auf der ersten Silbe.
Lochmühle bei
Mayschoß
Foto: Steinborn
7. In Dümpelfeld bildete die Mündung des Aden-auerbaches, wie die halbrechts ahraufwarts befindliche Senke im Zuge der nach Schuld führenden Landstraße andeutet, ehedem mit starkem Gefalle einen Absturz in einen Tümpel, d. i. ein Wasserloch bzw. einen Sumpf stehenden Gewässers. In Saarburg südl. Trier stürzt die Leuk kurz vor der Mündung rund 20 m tief in den „Dümpel". Dümpelfeld ist das „breite" bzw. „flache Feld am Wasserloch".
8. u. 9. Laach und Lochmühle.
Folgen wir der Ahr von Altenahr über Reimerzhoven flußabwärts, so kommen wir an eine Stelle, an der die Ahr sich, weil sie auf einen festen Gebirgsstock stößt, plötzlich nach Südwesten wendet. Dann umzieht sie in einem im Süden weiten Bogen den Felsstock und wendet sich, die Schlinge wieder verengend, nach Norden (Lochmühle) und dann nach Nordosten auf Mayschoß zu. Am Anfang dieses Bogens liegt die keine Siedlung Laach, an seinem nach Norden gerichteten Ende die Lochmühle.
8. Die Erklärung von „Laach" ist einfach: Griech. Lakkos ist = „Loch, Grube, Zisterne, Teich"; lat. lacus ist = „See". Altgerm, lahha (sprich lacha) ist = „Lache" = stehendes Wasser. Der Laacher See ist der „See stehenden Wassers". Slaw. luch, luk, Juki ist = „Sumpf, stehendes Wasser". Irisch loch ist = „See". Demnach muß die Ahr bei Laach einmal einen Teich, einen See oder ein sonstwie langsam abfließendes, stehendes Wasser gebildet haben. Laach ist also = „Teich, See".
9. Mit irisch — kelt. „loch" könnte man den Namen der am Ende des ehemaligen Sees gelegenen „Lochmühle" erschließen. Diese Mühle hat ihren Namen auf keinen Fall von den für Straße und Bahn in die Felsen gebahnten Durchbrüchen. Feldmann, Ortsnamen (1925) S. 82 deutet den Namen als „Loh"-mühle. Der mittelfränkische Volksmund hätte aber aus „Loh" nicht „Loch", sondern „Luh" gemacht und „Luh-möll" gesagt. „Loch"-mühle ist, besonders in der engen Verbindung mit dem nahen „Laach", als „Mühle am See" gar nicht abwegig. Die Tatsache, daß auch Lohe in ihr gemahlen wurde, tut der neuen Deutung keinen Abbruch. „Loch" an Lochmühle wäre, weil keltisch, älter als germanisch lahha — = Laach.
10. Ahrweiler. Nach den Erklärungen für Ahr (2a—c) und -weiler, Weiler (6b) ist Ahrweiler der Ort zum „Verweilen am fließenden Wasser".
11. Nicht weit von Ahrweiler ahrabwärts liegt das junge und „erst kürzlich" so genannte Neuenahr. Es bestand früher als solches gar nicht; es ist erst aus Hemmessen, Wadenheim und Beul zusammengeschlossen worden. Der topographischen Lage und dem Namen Beul = „Schwelle" nach zu urteilen, ist Beul der ältere der drei Ortsteile. Der Zweitälteste Ort scheint Wadenheim zu sein. Latein, vadum ist = „Furt"; alt-hochd. watan, engl. wade, latein. vado = „ich wade, ich wate, ich durchschreite Wasser". Das „Watten"-meer ist das Meer an der Küste, soweit man es durch-„waten" kann. In „Waden"-heim überschritt man an einem vadum — „Furt" die Ahr und stieg dann, wie man es heute noch tut, die Beul = „die Schwelle" zur Burg Neuenahr oder nach Königsfeld hinauf. „Waden"-heim wäre also „Heim an der Übergangsstelle".
12. Bodendorf.
a) Wer heutzutage durch die Hauptstraße des sauberen Bodendorf kommt, gewinnt den Eindruck, als sei der Ort seit je an die (erst später ausgebaute) Dorf-Hauptstraße gebaut worden. Man kann zwar annehmen, Bodendorf sei von irgend einem Bodo gegründet worden. Meine topographischen Beobachtungen an Lage und richtig entsprechenden Namen vieler Orte lassen es jedoch für möglich erscheinen, daß auch Bodendorfs Name topographisch begründet ist.
Kommen wir z. B. vom Norden, vom Forsthaus Erlenbusch: Bald müssen wir steil abwärts in ein Tal, das, nach Südosten gewandt, beim Gasthaus Bauer die Straße unterquert und nach Süden in die ziemlich weit vom Ort vorbeifließende Ahr mündet. An der Kreuzungsstelle Bach und Hauptstraße haben wir, ohne den heutigen Ort bisher richtig bemerkt zu haben, Dorf und Kirche Bodendorf plötzlich zur Rechten neben uns. Man halte sich vor Augen, daß Berge und Abhänge in Bodendorf ehedem stark bewaldet waren. Dann hatte auch unser Bächlein früher mehr Wasser. Darauf deuten auch der Name und die tiefhohle Lage des „Ellig", d. h. des „Erlenbusches". Solche Erlenbüsche, „Ellern, Eideren", gab es und gibt es nur an feuchten Stellen. Alte Bodendorfer wissen zu berichten, daß der Ort früher näher am Berge und näher an dem ehemals wasserreichen Bächlein lag. Damit sind wir bei Tacitus' Germania Kap. 16 angelangt: „Sie wohnen, .... je nachdem eine Quelle, eine Flur oder eine Trift ihnen gut ersichen". Wasser, Ackerflur und Weidetrift waren und sind heute noch vorhanden. Nehmen wir hierzu die oft beobachtete Tatsache hinzu, daß die aus dem kalten Norden stammenden Germanen Schutz gegen Nordwind suchten, dann paßt die Siedlung Bodendorf genau zu Tacitus wie die von Heppingen und Franken, von Hersdorf bei Schön-ecken oder Freilingen auf dem Westerwald und viele andere germanische Siedlungen,
b) Nun hat „Boden" mit dem uns geläufigen „Boden" hier gar nichts zu tun. Griech. potamos, illyrisch bodam ist = „Fluß". Der Bodensee hieß früher einmal lacus Bodamicus = Bodewsee = „Fluß-see", weil der Rhein, und viele andere Bäche und Flüsse durch ihn zum weiteren Rhein abfließen. Bei Bodenbach = „Bachbach", nord-westl. Kelberg, kommen tatsächlich zwei Bachtäler zusammen. Weshalb soll Bodendorf an der Ahr nicht auch in diese Reihe passen und nicht „Flußdorf, Bachdorf" bedeuten?
13. Ich hebe hervor, daß ich die Erklärungen für Wadenheim und Bodendorf nicht unter allen Umständen in die topographisch bedingten Ortsnamen einweisen möchte. Tatsache ist jedenfalls, daß sie topographisch passen und daß die topographische Bedingtheit vieler Orts-, Flur- und Bergnamen im Etymon, d. h. im „Wahrheitsgehalt" des Namens, in dessen Wesen und Sinn bisher viel zu wenig beachtet worden ist.
Bei Kleinpaul: „Die Ortsnamen im Deutschen" (Leipzig, 1919) ist keiner der hier erklärten Ortsnamen, bei Feldmann: „Ortsnamen" (Halle 1925) ist nur Lochmühle als „Loh"-mühle aufgenommen.
An unseren Lebensquell!
Der felsigen
Kammer, wie Silber so hell,
enteilest du, Ahr, aus dem vierfachen Quell;
Durch Wiesen enthüpfst du, in Tälern gekühlt,
drum in deiner Flut die Forelle gern spielt;
*
Nach Bergen und
Hängen mit funkelndem Wein
sei dankbar empfangen in Sinzig vom Rhein.
RICHARD SPESSART, SINZIG
Die Ahr entspringt im Quellenhof in Blankenheim, tief unter der felsigen Rückseite des Hauses Meier. Der linken Kammerwand entspringen drei Quellen, der hinteren, rechts in der Ecke, entfließt eine. Diese vier erbringen je Minute angeblich 240 l Wasser. Man hat den Eindruck, daß es mehr seien. Die Ahr mündet in Sinzig, zwischen dem „Großen Dorn" südlich und dem „Kleinen Dorn" nördlich des Flusses. Beide Gebiete gehören zur Stadt Sinzig.