DIE VERWALTUNG DES KREISES AHRWEILER
IN DEN ERSTEN NACHKRIEGSJAHREN
Von Dr. med. G. Habighorst M.d.L., Ahrweiler
Die Kreisverwaltung Ahrweiler wurde Ende Januar 1945 in die Kurverwaltung Bad Neuenahr verlegt. Sie bestand nur noch aus 10 Beamten und 28 Angestellten. Die Verlegung erfolgte wegen der zunehmenden Bombenangriffe, und da bereits größere Kriegsschäden an den Verwaltungsgebäuden in Ahrweiler entstanden waren. Bad Neuenahr galt wegen der dort untergebrachten Lazarette als unter der Genfer Konvention stehend. Eine regelrechte Verwaltungsarbeit war zu dieser Zeit nicht mehr möglich. Die Amerikaner rückten am 8. März 1945 in Bad Neuenahr ein. Landrat Dr. Simmer hatte an diesem Tage, morgens 4 Uhr, den Kreis verlassen. Kreisoberinspektor Ulrich übernahm die Verwaltung am gleichen Tage. Am 15. März 1945 wurde durch die amerikanische Besatzung Herr Ulrich mit der Führung der Geschäfte als Landrat betraut. Es ist notwendig, sich einmal an die damaligen Verhältnisse zurückzuerinnern, und dem Chronisten obliegt die Aufgabe, für spätere Generationen die Ereignisse aufzuzeichnen.
Das Bild der letzten Wochen und Monate nach einem erbarmungslos geführten Kriege, der auch tiefe Spuren in unserem Kreisgebiet hinterlassen hatte, ist in unserer schnellebigen Zeit allzu rasch verblaßt. Ein allgemeines Ausgehverbot — niemand durfte seine Heimatgemeinde verlassen — erging. Am 12. 3. wurde dieses Verbot gelockert und bis zu 5 km der Ausgang gestattet. An diesem Tage wurde die Arbeit bei der Kreisverwaltung wieder aufgenommen. Die Verwaltungsgebäude in Ahrweiler waren mit 400 amerikanischen Soldaten belegt, die erst in der letzten Märzwoche abrückten. Am 2. April 1945 erfolgte die Verlegung der Kreisverwaltung von Bad Neuenahr in die alten Diensträume, die gleichzeitig von der amerikanischen Militärregierung benutzt wurden.
Der Kreis Ahrweiler war zunächst vollkommen auf sich gestellt. Es gab keine höhere Verwaltungsstelle. So mußten alle früher staatlichen Einkünfte mitverwaltet werden. Der Kreis zahlte Gehälter und Vergütungen an das Arbeitsamt, Amtsgericht, Eisenbahn usw. Die Eisenbahn, die durch Bombenangriffe stark beschädigt war, wurde mit Hilfe des Eisenbahnsekretärs Müller soweit wieder in Ordnung gebracht, so daß Anfang Juli 1945 der Zugverkehr zwischen Remagen und Adenau mit einzelnen Unterbrechungen wieder aufgenommen werden konnte. Die Lebensmittelversorgung des Kreises machte erhebliche Schwierigkeiten, da der Kreis immer auf Zufuhren von auswärts angewiesen war. Im Kreise selbst wurden nur etwa 50 Prozent des normalen Bedarfs erzeugt. Die Lebensmittelrationen mußten herabgesetzt werden. Die Kreisverwaltung bemühte sich, da die Ernte des Vorjahres zum Teil noch nicht erfaßt und das Getreide noch nicht gedroschen war, eine gleichmäßige und gerechte Erfassung und Zuteilung im ganzen Kreisgebiet zu ermöglichen. Die Ernteerträge des Jahres 1944 lagen weit unter dem Durchschnitt, da durch die Kriegsereignisse eine ordnungsgemäße Bestellung der Äcker und das Einbringen der Ernte nicht mehr möglich waren.
Blankenheim - Ahrquelle
Photo: Landesbildstelle Rheinland-Pfalz
Aufgaben, die in der Vergangenheit der Reichsnährstand hatte, mußten von der Verwaltung mitübernommen werden. In den einzelnen Gemeinden wurden durch die jetzt neu berufenen Bürgermeister ehrenamtliche „Ortsvertrauensmänner" vorgeschlagen, die durch den Landrat bestätigt wurden, Im Mai 1945 nahm in Koblenz die erste übergeordnete Regierungsstelle — der Regierungspräsident — ihre Tätigkeit wieder auf. Auf Anordnung des Regierungspräsidenten wurde am 5. Juli 1945 das Kreislandwirtschaftsamt innerhalb der Kreisverwaltung gebildet. Die Tätigkeit erstreckte sich neben den allgemeinen Förderungs-' aufgaben für die Landwirtschaft in erster Linie auf die Erfassung und Lenkung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Darüber hinaus wurde durch das Kreislandwirtschaftsamt die Bezugscheinkontrolle für den Großhandel durchgeführt. Die Rationen für den Normalverbraucher betrugen damals pro Woche
1,75 Kilogramm
Brot,
100 Gramm Fleisch,
75 Gramm Fett,
150 Gramm Nährmittel und
125 Gramm Marmelade.
Es wird notwendig sein, in einem späteren Bericht eingehend über die Arbeit des Kreislandwirtschaftsamtes, dem auch in den Jahren bis zur "Währungsreform 1948 eine besonders verantwortungsvolle und schwierige Tätigkeit oblag, zu berichten. Ich erinnere hier nur an die durchgeführten Hofkontrollen, Viehrequisitionen und Kartoffelaktionen. Die Kreisbevölkerung hat ein Recht, hier genaue Zahlen über die Leistungen der Landwirtschaft in dieser schwierigen Zeit zu erhalten.
Nicht unerwähnt darf bleiben die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers Kripp-Niederbreisig durch die Amerikaner in der „Goldenen Meile". Die Kreisverwaltung hat sich sofort um das Schicksal unserer Soldaten gekümmert, die unter den denkbar schlechtesten Bedingungen auf engem Raum in diesem Lager zusammengepfercht waren. Die vielen hunderte weißen Kreuze auf dem Soldatenfriedhof in Bodendorf sprechen eine beredte Sprache und künden von Not und Tod deutscher Menschen in den ersten Wochen nach Einstellung der Kampfhandlungen. Im ganzen Kreisgebiet wurden Lebensmittel und Wolldecken gesammelt, die Bevölkerung gab von ihrem Wenigen, was sie konnte. Die Not im Lager konnte durch diese Aktion etwas gemildert werden. Sie trug aber auch dazu bei, daß die Amerikaner anfingen, die Verhältnisse im Lager zu verbessern. Alljährlich sammeln sich auf dem Soldatenfriedhof in Bodendorf Angehörige der Toten und Frauen und Männer aus dem Kreise, um am Totensonntag dieser Soldaten zu gedenken. Man sollte diesen Friedhof zu einem Mahnmal gestalten, das immer wieder zum Frieden und zur Menschlichkeit aufruft.
Als Ansatz einer ersten politischen Willensbildung nach der Besetzung in unserem Kreis können die Zusammenkünfte von Männern aus allen Ämtern des Kreisgebietes am 17. 4., 24. 4.,,1. 5. und 8. 5. 1945 im Sitzungssaale des Landratsamtes gelten. An diesen Sitzungen nahmen bis 55 Personen, außerdem der amerikanische Kreiskommandant und Offiziere der CIC, teil.
Es wird notwendig sein, an Hand der bei der Kreisverwaltung liegenden Protokolle und Aktennotizen hierüber zu einem späteren Zeitpunkt besonders zu berichten. Soviel darf aber heute schon gesagt werden, daß vor allem linksradikale Elemente versuchten, Einfluß auf die Geschehnisse zu gewinnen.
Ein trübes Kapitel sind die in dieser Zeit durch die Truppen durchgeführten Requisitionen. So betrugen die durch die Amerikaner im Kreise durchgeführten Requisitionen an Mobilien 11 652 887,— RM. Dazu kommen noch Requisitionen an Immobilien in Höhe von 825 000,— RM. Ein besonderes Besatzungsamt wurde erst Ende 1945 eingerichtet. Bis Mitte November 1945 wurde dieses Sachgebiet von der Abteilung V — Kriegsschäden — mitverwaltet. Es bereitete oft große Schwierigkeiten, den Requisitionsbefehlen der Besatzungsmacht nachzukommen. Der Durchmarsch der alliierten Fronttruppen hatte es mit sich gebracht, daß die Habe der Kreisbevölkerung, die durch Fliegerangriffe und durch die Kriegshandlungen schon sehr geschmälert war, noch weiter gemindert wurde. Auch hierüber wird später besonders berichtet werden müssen.
Im Zuge der Festlegung der Besatzungszonen rückten am 11. 7. 1945 die Amerikaner ab, und am 18. 7. 1945 wurde der Kreis durch französische Truppen besetzt. Am 26. Juli 1945 wurde der damalige Landrat Ulrich durch die französische Besatzung verhaftet und am 1. August 1945 seines Amtes enthoben. Die Gründe, die die Besatzungsmacht zu diesem Schritt veranlaßten, sind nie richtig aufgehellt worden. Es wurde immer die Nichtbefolgung eines belanglosen Befehls des Kreiskommandanten angegeben. Der Kreis Ahrweiler muß Herrn Ulrich dankbar sein für die in den ersten Monaten der Besetzung geleistete Arbeit. Gestützt auf Sachkenntnisse und Geschick zum Verhandeln, hat er viele Anforderungen der Besatzungsmacht zum Nutzen der Kreisbevölkerung abmildern können. Mit Tatkraft und Zielstrebigkeit hat er die Verwaltung in unserem Kreis wieder in Gang gesetzt. Die dunklen Schatten der Beamten- und Angestellten-Entlassungen, die in diese Zeit fallen, bedürfen einer zusammenhängenden Darstellung mit der später in Gang gesetzten „Entnazifizierung". Es wird sich dann zeigen, daß Vorwürfe, die gegen einzelne Personen hier erhoben wurden und werden, unberechtigt sind.
Am 20. August 1945 trat Herr Dr. Schüling, der vor 1933 Landrat in Westerburg-Westerwald war und dort von den Machthabern des Dritten Reiches entlassen worden war, seinen Dienst als Landrat bei der Kreisverwaltung an. Die Ernennung war durch den Regierungspräsidenten in Koblenz im Einvernehmen mit dem französischen Kreiskommandanten Stroh erfolgt. Herr Dr. Schüling, der über große Erfahrungen in der Verwaltung verfügte, hatte keinen leichten Stand. Das Verhältnis zu dem französischen Kreiskommandanten war schwierig. Erst als Herr Monfraix als Kreisdelegierter seine Tätigkeit aufnahm, war es möglich, im Wege vernünftiger Gespräche Erleichterungen für die Kreisbevölkerung zu erwirken. Die Verdienste von Landrat Dr. Schüling in diesen Jahren der Not und des Hungers für den Kreis Ahrweiler sind groß. Einer kommenden Zeit wird es vorbehalten bleiben müssen, hier ein gerechtes Urteil zu fällen. Die Landesregierung ernannte Herrn Dr. Schüling in Anerkennung seiner Verdienste am 15. 11. 1950 zum Regierungsvizepräsidenten bei der Bezirksregierung in Mainz. Seit einigen Monaten führt Herr Dr. Schüling die Geschäfte des Regierungspräsidenten in Montabaur. Im Jahre 1946 wurden die ersten Kommunalwahlen durchgeführt, die wieder eine ordnungsmäßige Kreisvertretung brachten. Die Bevölkerung war wieder durch den Kreisversammlungsausschuß verantwortlich bei der Führung der Kreisgeschäfte eingeschaltet. Über die politische Entwicklung in unserem Kreis und über die Arbeit der Kreistage wird an Hand der Sitzungsprotokolle eingehend später berichtet werden.
Wenn wir heute in allen Teilen des Kreises eine Konsolidierung und eine Aufwärtsentwicklung feststellen können, so ist diese nur möglich geworden durch die tatkräftige und zielbewußte Arbeit in den Jahren von 1945 bis 1950.