Neue Forschungsergebnisse zur Apollinariskirche
Dr. Paul-Georg Custodis
Die Restaurierungsmaßnahmen an der Apollinariskirche, die inzwischen seit 1985 andauern, wurden durch ein intensives Studium der schriftlichen und zeichnerischen Quellen begleitet. Dabei konnte bisher unbekanntes Plan- und Aktenmaterial erschlossen werden: Zum einen wurden in den Jahren 1999 und 2000 die Bauakten der Kirche im Archiv Fürstenberg-Stammheim transkribiert und damit erstmals der Forschung erschlossen. Dieses Privatarchiv wird seit 1981 durch die Rheinische Archivberatungsstelle in der Abtei Brauweiler betreut und ist in Schloss Ehreshoven im Bergischen Land deponiert.
Zum anderen steht seit dem Jahre 2002 dank des Entgegenkommens des Eigentümers der Kirche, Franz-Hermann Freiherr von Fürstenberg, Brabecke in Westfalen, die Sammlung von Plänen aus dem Archiv Fürstenberg-Stammheim zur Verfügung. Sie umfasst die Vorentwürfe des Düsseldorfer Architekten Rudolf Wiegmann und des Kölner Dombaumeisters Ernst Friedrich Zwirner zum Bau der Kirche, zahlreiche Detailvorlagen zur Ausstattung sowie Zwirners Entwürfe zum geplanten, aber nie ausgeführten Bau eines Schlosses neben der Apollinariskirche. Die folgenden Ausführungen sind daher als Vorinformation zu sehen. Das gesamte Material wird in der Reihe der „Forschungsberichte" des Landesamtes für Denkmalpflege publiziert. Mit dem Erscheinen des Bandes ist am Beginn des Jahres 2004 zu rechnen.
Südwestlicher Turm der Apollinariskirche aus Gusseisen mit flankierenden Fialen in Sandstein
Detail der Dachbrüstung in Gusseisen
Die Planungsgeschichte
Im August 1836 lässt Franz Egon Graf v. Fürstenberg-Stammheim den Apollinarisberg ansteigern. Kirche, Herrenhaus, Pächterwohnung und Nebengebäude sowie umfangreiche Ländereien gehen aus dem Besitz der Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée an den Grafen über. Dieser hat die Absicht, die kleine mittelalterliche Wallfahrtskirche auf dem Apollinarisberg restaurieren und durch die Gruppe der „Nazarener" ausmalen zu lassen. Hierfür gewinnt er durch Vermittlung des mit ihm befreundeten Direktors der Düsseldorfer Kunstakademie, Wilhelm v. Schadow, dessen Schüler Ernst Deger, Andreas und Karl Müller sowie Franz Ittenbach.
Noch im Herbst 1837 wird mit der Wiederherstellung der alten Kirche begonnen. Ihre Schäden scheinen reparabel zu sein. Während der Restaurierungsarbeiten besichtigt Johann Claudius v. Lassaulx die Kirche, spricht sich lobend über die inzwischen vorgenommenen Verankerungen der nach außen weichenden Schiffwänden aus, weist aber auf starke Schäden an den Fundamenten hin, die seiner Meinung nach zu neuen Rissen und damit zwangsläufig zu Schäden an den vorgesehenen Fresken führen müssten.
Fürstenberg, Schadow und Wiegmann beschliessen daher bei einem Treffen am 2.4.1838 auf dem Apollinarisberg wegen der Bauschäden den Abbruch der alten Kirche und einen Neubau an gleicher Stelle. Fürstenberg veranstaltet hierzu einen Wettbewerb zwischen Wiegmann und dem späteren Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner. Diese Konkurrenz kann nunmehr durch den Vergleich der vorliegenden Pläne nachvollzogen werden. Für den neuen Bau stellt Fürstenberg folgende Bedingungen :
1. Die neue Kirche solle sich nach dem Maßstab der alten richten und deren Fundamente, Abbruchmaterial und alten Säulen der Krypta wiederverwenden.
2. Die Wände des Innenraumes sollen für die geplante Ausmalung ausreichende Flächen bieten, die Architektur der neuen Kirche dabei der Würde dieser Malerei entsprechen.
Wiegmanns Entwurf
Rudolf Wiegmann wird 1838 nach Studien bei Georg Moller in Darmstadt und einem Aufenthalt in Rom an die Düsseldorfer Kunstakademie als Lehrer für Baukunst berufen. Er ist unter den beiden Konkurrenten der Theoretiker und befürwortet die Neuromanik als Baustil. Wiegmann legt im Mai 1838 seinen Entwurf vor. Danach soll die neue Kirche im Inneren weitgehend an die alte erinnern, im Äußeren aber als eine Art von romanischem Idealbild den Vorgängerbau übertreffen. Alle Wände des Schiffes, der Apsis sowie die beiden seitlich angebauten Kapellen sollen ausgemalt werden. Wiegmann hält sich im Gegensatz zu Zwirner exakt an die von Fürstenberg vorgegebene Bausumme und scheint damit die Vorgaben des Bauherren Fürstenberg in ausreichender Weise erfüllt zu haben. Seine Pläne werden von Schadow favorisiert.
Gitter des Chores in der Apollinariskirche
Zwirners Entwurf
Zwirner unterbreitet am 30.9.1838 seinen ersten Entwurf zum Neubau der Apollinariskirche, der in Grundrissschema und Aufriss der Bauausführung entspricht. Den vier gleichschenkligen Kirchenarmen werden auf der Westseite eine Schaufront, flankiert von zwei Türmen und auf der Ostseite eine Apsis mit zwei kleineren Türmen vorgelagert.
Die beiden Westtürme enden in umlaufenden Balustraden, auf denen die durchbrochenen Spitzhelme sitzen. Die Giebel über den beiden Querhäusern haben jeweils Rundfenster. Ihnen entspricht im Giebel über dem Chor eine gleich große Uhr. Alle Gewölbesegel sind, spätgotischen Vorbildern folgend, in sternförmige Segmente aufgegliedert. Hierfür mag Schinkels 1830 vollendete Friedrichswerdersche Kirche in Berlin mit ähnlich aufgeteilten Gewölbefeldern ein Vorbild gewesen sein. Es fehlen zu beiden Seiten des Chores Sakristei und Kapelle für die Familie Fürstenberg. Zwirner argumentiert, dass sein Entwurf durch große Wandflächen ideale Bedingungen für die geplante Malerei biete. Zwirners erster Entwurf scheint stark unter dem Einfluss von Karl Friedrich Schinkels romantisch geprägter Gotik und von ihm aufgenommenen Einflüssen von Sakralbauten des ausgehenden Mittelalters in Oberitalien zu stehen. Prof. Arnold Wolff, der frühere Kölner Dombaumeister, weist in seinen Forschungen zudem auf die Alexander-Newski-Kapelle im Park von Schloss Peterhof bei St. Petersburg hin, die in den Jahren 1831 - 1834 nach Schinkels Vorlagen errichtet wurde und deren Fassaden erstaunliche Parallelen zur Apollinariskirche aufweisen.
In der Konkurrenz der Entwürfe zwischen Wiegmann und Zwirner trägt letzterer den Sieg davon. Die Gründe kann man nur vermuten: Fürstenberg, der bis 1838 schon in vielfältiger Weise mit der Erhaltung von mittelalterlichen Bauzeugnissen im Rheinland beschäftigt war und sich im Jahre 1837 für längere Zeit in Berlin aufhält, lernt dort Schinkel kennen. Eine Bevorzugung von dessen Schüler Zwirner als seit Jahren bewährtem Praktiker beim Ausbau des Kölner Domes vor dem Theoretiker Wiegmann mag den Ausschlag gegeben haben, zudem eine eindeutige Bevorzugung des gotischen Stiles.
Zwirners Ausführungsplanung
Zügig arbeitet Zwirner die endgültige Planung für den Bau der Apollinariskirche aus. Diese Pläne, die sich im Kölner Dombauarchiv erhalten haben, wurden bereits mehrfach publiziert. Die Details der Fassadengestaltung, insbesondere der Giebel und Türme, und die Gestaltung des Innenraumes haben dabei inzwischen starke Veränderungen und eine starke Annäherung an das Vorbild des Kölner Domes durchlaufen. Alle Giebel sind durch senkrechte Lisenen gegliedert. Auf die Brüstungen an den Westtürmen wird verzichtet. Die Gewölbe erhalten die Kreuzrippenform.
Über die religiösen und künstlerischen Motive des Bauherren, Franz Egon Graf v. Fürstenberg-Stammheim, zum Bau der Kirche wurde bereits mehrfach geschrieben.
Doch es gab noch ein sehr privates Motiv zum Bau. Unmittelbar neben der Kirche wollte Fürstenberg an Stelle der alten Propsteigebäude ein Schloss errichtet wissen. Doch eine eigentliche Planung ist erst ab 1853 nachzuweisen. Zwirners Vorentwürfe für das Schloss in den beiden Planvarianten von 1853 und 1854 haben sich im Archiv Fürstenberg-Stammheim erhalten und werden in dem o.g. Forschungsbericht ebenfalls erstmals vorgestellt.
Der Bau des Schlosses scheitert letztlich am Einspruch des Bischofs von Trier. Dieser sah durch den Bau eines Schlosses die neue Kirche zu einer Art von Privatkapelle degradiert und den öffentlichen Zutritt von Pilgern zu den Apollinaris-Reliqiuien gefährdet. Fürstenberg verzichtet 1857 auf den Bau des Schlosses. Noch im gleichen Jahr kehren die Reliquien auf den Apollinarisberg zurück.
Die Bauausführung
Planung und Bau der Apollinariskirche sind zeitgleich mit Zwirners Wirken für den Ausbau des Kölner Domes. Für Ausführung und Materialbeschaffung für die neue Kirche kann er auf die Kölner Dombauhütte zurückgreifen. Denn diese hatte die Tradition und die handwerklichen Kenntnisse mittelalterlicher Bauhütten wiederbelebt und verfügte inzwischen über ein weit gespanntes Netz von Kontakten zu Handwerksbetrieben und zu Steinbrüchen im rheinischen Raum. Beides will Zwirner für den Bau der Apollinariskirche nutzen.
Er schickt daher bereits im Jahre 1838 den Domsteinmetzen Eduard Mahlberg zum geplanten Bauplatz nach Remagen, um dort auch eine Bauhütte mit einem Stamm von Steinmetzen vom Kölner Dom aufzubauen
Für die neue Kirche wird bevorzugt Steinmaterial der Region gewählt, wie die Baurechnungen belegen:
Schiefriger Bruchstein aus Grauwacke für das Mauerwerk des Sockels. Es wird aus Abbruchmaterial der alten Kirche, aus neu aufgeschlossenen Steinbrüchen in der Nähe der Kirche sowie aus Abfallmaterial aus dem Freisprengen des Bauplatzes gewonnen
Basalt-Krotzen aus Plaidt für die aufgehenden massiven Wände.
Tuffquader als Verblendung der Außenmauern. Die jüngsten Restaurierungsarbeiten erbrachten, dass diese Tuffsteine zum großen Teil nicht lagerhaft, sondern senkrecht vermauert wurden. Die hierdurch entstandenen senkrechten Abrisse waren die Ursache für umfangreiche jüngste Ausbesserungen.
Basalt aus Niedermendig für Sockel und Profile.
Trachyt aus Stenzelberger und Wolkenburger Brüchen im Siebengebirge, sowie aus dem Domsteinbruch in Berkum (heute Gemeinde Wachtberg bei Bonn) für Türgewände, Sockel und Treppenstufen
Tuffmaterial für die Herstellung der Gewölbe.
Als Material für die Helme der beiden Westtürme, für die umlaufenden Brüstungen des Außenbaus und für zahlreiche Ausstattungteile im Inneren wählt Zwirner Gusseisen. Dieses Gusseisen stammt aus der Isselburger Hütte am Niederrhein, nicht wie bisher angenommen, aus der preussischen Sayner Hütte.
Die Ausstattung
Die gesamte bildhauerische Dekoration der Fassaden und die Ausstattung im Inneren der Apollinariskirche wird ebenfalls durch Zwirner entworfen und weitgehend von Kölner Künstlern ausgeführt. Hierbei wird der Kölner Bildhauer Christoph Stephan zur zentralen künstlerischen Persönlichkeit. Er arbeitet in den Jahren 1842-1845 und 1853-1855 wesentliche Teile der bildhauerischen Ausstattung wie alle Vorlagen zu den Gusseisenteilen, die Figur des hl. Apollinaris im Westgiebel sowie Kanzel, Beichtstühle, die Schaufront der Orgel und die Platte der Apollinaristumba. Die Kapitelle der Vierung entstehen nach Vorbildern im Chor des Kölner Domes, Hauptaltar und Sakramentshaus werden durch den Steinmetzen Julian Marchand geschaffen. Weiterhin ist der Bildhauer Franz August Bernard Imhoff aus Köln für die Ausführung plastischer Arbeiten an der Apollinariskirche tätig. Für die Krypta der Apollinariskirche liefert er 1841 acht „byzantinische" Kapitelle aus Heilbronner Sandstein, für die Oberkirche fünf Säulenkapitelle mit „gotischem Blätterkranz".
Kongenial zu den vier Düsseldorfer Künstlern führt Friedrich Petri aus Gießen die Dekorationsmalerei der Apollinariskirche aus. Leben und Werk dieses Malers lassen sich bisher kaum greifen. Es ist anzunehmen, dass die gesamte figürliche und ornamentale Dekorationsmalerei an Wänden und Gewölben der Apollinariskirche weitgehend von ihm stammt und dass diese konzeptionell und vom arbeitstechnischen Ablauf her Zug um Zug mit den Wandbildern entsteht. Bernhard Blumenberg aus Remagen hilft ihm dabei als Malereigehilfe. Auch dem Hauptaltar und den Seitenaltären sowie dem Sakramentshaus gibt Petri die farbige Fassung.
Die finanziell grössten Einzelposten bei der Ausstattung der Kirche sind die Orgel, die Fliesen im Chorraum sowie die Ausstattung der gräflichen Loge: Die Kölner Orgelbaufirma Fr. W. Sonreck baut das Orgelwerk auf. Es hat unter Freihaltung des zentralen Rückfensters zwei Werke und wird durch die nach Stephans Entwurf von der Schreinerei Joh. Statz aus Köln gefertigte Schaufront geschmückt. Leider wurde sie 1985 durch die heutige Orgel ersetzt. Mit Kosten in Höhe von 1528 Talern ist die Orgel der höchste Einzelposten in der Ausstattung.
Kapitell in der Krypta der Apollinariskirche
Nach Zwirners Vorgaben werden im Hauptschiff und in den Querhäusern der Kirche Keramikfliesen aus den Sinziger Tonwerken verlegt, während für den Chorraum Fliesen der englischen Firma von Minton, Hollins und Co. in Stocke gewählt werden. Sie werden in einer speziellen Enkaustik-Technik hergestellt und zeigen in den Mittelbildern figürliche Szenen nach biblischen Themen
Die Mainzer Firma Bembé stattet im Jahr der Einweihung der Kirche 1857 die Fürstenloge mit „reicher Decoration von Lyoner schwerem Seiden-Sammt", einem Kissen auf der Brüstung und sechs Stühlen „von Eichen Holz gotisches Facon vom Bildhauer geschnitzt" aus. Mit 1510 Taler sind die Kosten nach denen für die Orgel der dritthöchste Einzelposten in der Ausstattung.
Keramikfußboden im Chorbereich
Immer wieder besuchen hohe Personen die Baustelle: 1844 kommen Prinz Wilhelm v. Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., 1847 sein Bruder, König Friedrich Wilhelm IV. Für dessen Fahrt von Bonn nach Remagen werden „zwei extra Postpferde" und Pechfackeln geordert. 1848 kommt der deutsche Reichsverweser, Erzherzog Johann von Österreich, in die Kirche. Zur Begutachtung der vollendeten Malerei treffen 1852 König Friedrich Wilhelm IV., Prinz Wilhelm v. Preussen, Graf Franz Egon v. Fürstenberg und Sulpiz Boissereé auf dem Apollinarisberg zusammen. Für die Bürger von Remagen gibt es ein „Königsfest". 1854 kommt König Ludwig von Bayern , 1855 König Friedrich Wilhelm IV. erneut auf den Apollinarisberg.
Am 28. März 1857 wird die Kirche eingeweiht, am 23. Juli 1857 die Kopfreliquie des hl. Apollinaris wieder in die Kirche übertragen. Die Kirche wird fortan das Ziel ungezählter Wallfahrten.