Der »Regierungsbunker« im Ahrtal

Ehemaliger Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes

Leonhard Janta

„Streng geheim“ war alles, was mit der Planung, dem Bau und der Nutzung des in den 1960er Jahren errichteten „Regierungsbunker“ im Ahrtal zusammenhing. Dies hatte zur Folge, dass sich wilde Gerüchte um dieses auch im internationalen Vergleich wohl einmalige Bauwerk rankten. Da wurde von einer unterirdischen Stadt mit einer Einkaufsstraße und unvorstellbarem Luxus gemunkelt und war die Rede von einer Verbindungsstraße direkt nach Bonn, von Raketenabschussrampen, einer nahen Flugzeuglandebahn und anderem mehr. Als das Bundeskabinett am 9. Dezember 1997 beschloss, den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ aufzugeben, hatte die „Entzauberung“ des Bunkers bereits begonnen. Erste Bilder der Bunkeranlage wurden in den Medien gezeigt und stießen auf breites Interesse im In- und Ausland. Ein Exposé der Bundesvermögensverwaltung lieferte zusammen mit einer Video-Aufnahme Informationen über die Anlage. Auf diese Materialien stützen sich auch die nachfolgenden Ausführungen.1) Zusammen mit erstmals veröffentlichten Aufnahmen aus dem ehemaligen „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ wollen sie einen Eindruck vermitteln von diesem besonderen Bauwerk , das ein Stück Zeitgeschichte der vergangenen 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland wiederpiegelt.

Der „Regierungsbunker“ im Ahrtal dürfte Stoff bieten für aspektreiche wissenschaftliche Arbeiten zu unserer jüngsten Geschichte, die es wohl aus dieser Perspektive noch nicht gibt. Allerdings bedarf es hierzu des Zugangs zum Quellenmaterial über die Planungen der daran beteiligten Regierungsstellen, des Baus, der Kosten und der Nutzung. Auch dürften die im Bunker abgehaltenen Übungen und die Erfahrungen der Teilnehmer von hohem Interesse sein für eine solche zeitgeschichtliche Darstellung.

Zur Planung des Bunkers

Mit den Planungen eines Bunkers als „Ausweichsitz aller Verfassungsorgane des Bundes“ begann man nach dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO (1955). Die Entscheidung für eine solche Anlage fiel vor dem Hintergrund des kalten Krieges, des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts, des atomaren Wettrüstens, der Wiederbewaffnung und Gründung der Bundeswehr.

Großbaustelle "Regierungsbunker", Anfang der 1960er Jahre

Für den aufgrund der damaligen internationalen Lage und Mächtekonstellation befürchteten Verteidigungsfall sollte eine sichere Bunkeranlage den Verfassungsorganen des Bundes umfassenden Schutz bieten. Es „sollte in einer solchen Situation die Handlungsfähigkeit der Staatsspitze gewährleistet bleiben.“ Aufnahme finden sollten u. a. der Bundespräsident, der Bundeskanzler, das Kabinett, der Bundestag, das Bundesverfassungsgericht, die Spitzen von Bundesbank und Bundeswehr. Die hohen Kosten für die Erstellung und den laufenden Betrieb dürften dabei zweitrangig gewesen sein. Bei der Suche nach einem geeigneten Standort im Umkreis von Bonn wurden die damit betrauten Regierungsstellen im nahe gelegenen Ahrtal fündig. Hier konnte man in den Ahrbergen bei Marienthal/-Dernau auf alte Tunnelanlagen zurückgreifen, die vor dem Ersten Weltkrieg für eine „Strategische Eisenbahn“ gebaut worden waren. Die geplante Eisenbahnlinie von Liblar über Rheinbach ins Ahrtal wurde nie fertiggestellt. In den 1920er Jahren durfte sie dann nach dem Versailler Vertrag nicht weitergebaut werden, weil sie zu militärischen Zwecken als Transportverbindung zur Westfront in Angriff genommen worden war. Im Zweiten Weltkrieg dienten die Tunnels gegen Kriegsende im Bereich Marienthal/Dernau als Produktionsstätten der Rüstungsindustrie (V 2 Montage), wobei hier in einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald auch KZ-Häftlinge arbeiten mussten. Die Bevölkerung nutzte die Tunnels 1944/45 als Luftschutzbunker, denn die Anlage galt schon damals als „bombensicher“. Dieser Umstand und die Nähe der Tunnelanlage zu Bonn gaben dann den Ausschlag bei der Standortwahl. „Insbesondere die bis zu 112 m mächtige Überdeckung des Tunnels durch Schiefergestein und die Weitläufigkeit der Röhre gewährleisteten den besten Schutz vor Angriffen aller Art, einschließlich möglicher Nuklearschläge. Die Längenausdehnung und ihre Untergliederung in autarke Abschnitte machten die Tunnelanlage zu einem Flächenziel, das nur schwierig anzugreifen war.“

Blick in einen der mächtigen Bunkerstollen

Kraftbetätigte Bunktertür im Eingangsbereich

Die Bunkeranlage

Als die Bunkeranlage in den Jahren von 1960 bis 1972 im Ahrtal ausgebaut wurde, arbeiteten zeitweilig wohl über tausend Arbeiter auf dieser Großbaustelle. Für die Gastronomie, Pensionen und Geschäfte, aber auch für Betriebe im Ahrtal stellte sie in den Jahren des Baus einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Statistisches Material, Zahlen hierüber liegen ebenso wenig vor wie über die Bau- und Unterhaltungskosten des Bunkers, der nach der Fertigstellung rund 200 Arbeitsplätze bot. Gekostet haben dürfte dieses Projekt seit seinen Anfängen jedoch Milliarden.

Welche Größe die Gesamtanlage Marienthal/Dernau besitzt, verdeutlichen einige Daten. Als Hauptstollen des Bunkers wurde der ehemalige 3 km lange Eisenbahntunnel verwendet . „Der Taleinschnitt, der den Tunnel unterbricht, konnte im Bedarfsfall über einen unterirdischen Verbindungsgang überwunden werden, der in 60 m Tiefe unter dem Bodenniveau der Hauptstollen verläuft. Hinzu kommt eine Vielzahl von Nebenstollen, Fluchtgängen und Lüftungsschächten, die man ausgehend von der alten Bahntrasse vorgetrieben hat. Insgesamt erreicht das unterirdische Gangsystem eine Länge von 19 km. Die Anlage bietet unter Tage 83.000 qm Nutzfläche und umfaßt ein Volumen von 370.000 Kubikmeter. Insgesamt gibt es 38 Verbindungen zur Außenwelt. Neben den vier Haupteingängen führen eine kleine Zufahrtsstraße im Berg, Lüftungsschächte sowie Notausgänge und Notausstiege nach draußen. Oberirdisch gehören zur Liegenschaft bundeseigene Grundstücksflächen von etwa 19 ha“. Das kilometerlange Bunkersystem ist mit Fahrrädern und Elektrofahrzeugen befahrbar. In ihrer Ost-West-Ausdehnung ist die Anlage zwischen Ahrweiler und Dernau in fünf völlig autarke Bauteile gegliedert. Diese können im Notfall voneinander abgekoppelt werden und sind für sich genommen völlig funktionstüchtig.

Ausgelegt sind diese Bunker jeweils für etwa 600 Personen. Im Verteidigungsfall hätten in der Gesamtanlage also insgesamt rund 3000 Menschen Schutz finden können. Der Hauptstollen ist durch Zwischendecken unterteilt. Er weist im Erdgeschoss 897 Büro- und Konferenzräume auf (12.600 qm). Die Büros haben eine Größe von 10 bis 40 qm, Mehrzweckräume sind 250 qm , Konferenz und Sitzungsräume bis zu 125 qm groß. Im Obergeschoss befinden sich 936 Schlafräume (13.600 qm), außerdem Waschräume ohne jeden Luxus, was für die gesamte Anlage gilt. So sind die Schlafräume für vier Personen mit doppelstöckigen Betten ausgestattet und gerade mal 15 qm groß. „Die Einrichtung ist sehr spartanisch. Die Büros und Arbeitsräume, die Unterkünfte und auch die Möblierung sind schlicht und nüchtern. So standen beispielsweise selbst für die höchsten Repräsentanten des Staates nur Feldbetten zur Verfügung. Am ehesten trifft der Vergleich mit einer großen, unterirdischen Kaserne zu.”

Einblick in eine Klimazentrale mit verschiedenen Raumlufttechnischen Geräten

Büroräume reihen sich aneinander

Lage und Darstellungsraum mit Karten

Besprechungszimmer des Bundespräsidenten

Schlafraum für 4 Personen ohne jeden Komfort
Fotos: Werner Mertens

Versorgung

„Jeder der fünf selbständigen und unabhängigen betriebsfähigen Bauteile verfügt über die gesamte Technik, die das Leben und Überleben in der Anlage ermöglichen sollte“. Hierzu gehören ausgeklügelte Ver- und Entsorgungssysteme:

  1. Das Lüftungssystem mit Klima- und Heizungsanlagen. 
  2. Wasseraufbereitungsanlagen aus Tiefbrunnen und Zisternen für Trink- und Brauchwasser für bis zu 200 Kubikmeter pro Tag.
  3. Die Energieversorgung wird bei dem Ausfall des öffentlichen Netzes über Dieselgeneratoren sichergestellt.
  4. Für die gesamte Verpflegung sollten fünf Großküchen sorgen.

Verwertung/Umnutzung der Anlage 

Nach dem Beschluß vom 7. Dezember 1997, den Ausweichsitz des Bundes im Ahrtal aufzugeben, wurde das Bundesvermögensamt mit der Verwertung der Anlage betraut, die möglichst einer zivilen Nutzung zugeführt werden sollte. Schon unmittelbar nach der Entscheidung des Bundeskabinetts erinnerte Landrat Joachim Weiler an die Verantwortung des Bundes für die Region und forderte Ersatz für die rund 200 Arbeitsplätze im „Bunker“ sowie für die zahlreichen Wartungs- und Reparaturaufträge der heimischen Handwerksbetriebe. Der Kreis Ahrweiler startete zudem eine Ideen- und Informationsoffensive, um eine weitere Nutzung zu gewährleisten.

Gang mit Schlafräumen - kasernenmäßige Unterbringung

Die Resonanz auf Medienberichte über den „Regierungsbunker“ und eine Verkaufsanzeige ( 12. Juni 1998) der Bundesvermögensverwaltung war im In- und Ausland sehr groß. Allerdings konnte das Objekt trotz intensiver Bemühungen bisher nicht veräußert werden. „Für eine zivile Umnutzung der Anlage waren vielfältige Möglichkeiten denkbar, vorrangig in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Technologie, Industrieproduktion oder Informationstechnik. Aber auch der Freizeitsektor war in Betracht zu ziehen, etwa indem man Teile der Anlage für die Allgemeinheit zur Besichtigung öffnet.“ Über den hohen Sachwert der Anlage, „Wertvorstellungen“, Marktwert und die Höhe der Kaufpreisangebote liegen keine Informationen vor.

Die bisherigen Nutzungsangebote für die Bunkeranlage umfassten „Vergabe von Bunkerplätzen an Privatpersonen; Erlebnisgastronomie, Freizeitbereich, Museum; Einlagerung von umweltverträglichen Reststoffen; Wissenschaft, Gewerbe (verschiedene Aspekte).“ Auch wurde der Vorschlag unterbreitet, den Bunker als zentralen Lagerplatz für DM- und EURO-Münzen zu verwenden. Zwei Investoren, die allerdings dafür nur einen 170 m tiefen Luftschacht benötigen, präsentierten den Vorschlag zur Einrichtung eines 1000jährigen Archivs. Privatpersonen hätten darin die Gelegenheit, in Kassetten gegen eine Gebühr von 500, - DM persönliche Gegenstände einzulagern. Diese sollen dann zum Jahreswechsel 3000 (!) unter Aufsicht der Katholischen Kirche wieder geöffnet werden. Bisher erfüllte keiner der Kaufinteressenten die gestellten Forderungen für die Gesamt- oder Teilübernahme der Anlage, nämlich, diese „einer zukunftsträchtigen, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Anschlußnutzung (zuzu)führen.“ 

Operationssaal für die medizinische Versorgung

Es scheint so, als müsse damit gerechnet werden, dass der ehemalige Regierungsbunker ab dem Frühjahr 2000 aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus zurückgebaut und verschlossen werden wird. Dies dürfte Kosten in zweistelliger Millionenhöhe verursachen. Beim Rückbau wird der Bunker völlig entkernt. Hierzu müssen u.a. das gesamte Inventar - einschließlich aller technischen Anlagen - sowie alle umwelt und grundwassergefährdenden Stoffe entfernt und entsorgt werden. Eine Verfüllung der Stollen ist jedoch nicht notwendig. „Die Anlage wird in einen Zustand versetzt, der keinerlei Gefahrenpotential mehr für Mensch und Umwelt birgt. Im Ergebnis bedeutet dies, daß die vollständig entkernte Anlage für ihren bisherigen Zweck unbrauchbar wird und auch nicht mehr zu reaktivieren ist. Da nach Abschluß aller Rückbaumaßnahmen voraussichtlich nicht mehr erforderlich ist, die Stollen begehbar zu halten, werden alle Zugänge dauerhaft verschlossen.“ Das Kapitel „Regierungsbunker“im Ahrtal wäre damit endgültig abgeschlossen.

Quellen und Literatur:

  1. Oberfinanzdirektion Koblenz -Bundesvermögensabteilung - (Hrsg.): Der ehemalige Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes („Regierungsbunker“) im Allgemeinen Grundvermögen. Ein Informationsblatt der Oberfinanzdirektion Koblenz - Bundesvermögensabteilung. Koblenz o. 1. (1998) Auf dieses Expose', aus dem auch die Zitate stammen, stützen sich die Ausführungen bei allen detaillierten Angaben zum „Regierungsbunker“ Marienthal/Dernau.
    Informationen über die Anlage lieferte auch das Video der Bundesvermögensabteilung über den „Bunker der Bundesregierung“, das wohl zeitgleich entstanden ist.