Waldorf versank 1824 in Schutt und Asche

Wilfried Dünchel

Bereits um das Jahr 1540 wurde das halbe Dorf Waldorf mit der Kirche ein Raub der Flammen1). In Waldorf lebten damals etwa 200 Personen in 42 Familien.

Erwähnt wird dieser Brand indirekt in einem Weistum aus dem Jahre 1589, in dem der Abt der Benediktiner-Abtei Gladbach als Grund- und Gerichtsherr in Buchholz und Niederweiler das hergebrachte Recht rekonstruieren ließ2). In diesem Zusammenhang konnte sich ein erster Zeuge, der blinde und ca. 100 Jahre alte Johann Moesell, daran erinnern, dass ein Mann namens Dorffen Waldorf angezündet habe und am Gericht bei Allmerssbach an der Straße bei Glees verbrannt worden sei. Diese Aussage wurde von einem zweiten Zeugen, dem 72-jährigen Hollenblasius von Ramersbach, bestätigt. Dorffen soll den Brand „wegen einer Seite Speck“ entzündet haben3). Die Hinrichtung des Dorffen kann als Indiz gewertet werden, daß damals ein Brand größeren Ausmaßes in Waldorf gewütet hat.

500 Waldorfer obdachlos

Am 23. Dezember 1824 wurde Waldorf ein zweites Mal von einem schrecklichen Dorfbrand heimgesucht. Gegen Mittag brach der Brand im Haus des Anton Dahm im Oberdorf aus. Ursache war eine Unachtsamkeit beim Befeuern des Ofens. Begünstigt durch einen starken Wind breitete sich das Feuer rasch in Richtung Dorf aus. Da die meisten Gebäude noch Strohdächer hatten, brannte es bald im ganzen Dorf. Nach einer Aufzeichnung des damaligen Pfarrers Johann Jakob Becker wurden in nur einer Stunde und 40 Minuten etwa 70 Häuser ein Raub der Flammen.

Die Gemeinde Waldorf war zur Bekämpfung eines solchen Dorfbrandes nicht gerüstet. Zur Brandbekämpfung standen lediglich 80 Brandeimer, drei Leitern und sieben Brandhaken zur Verfügung4). Als Hilfe aus benachbarten Orten eintraf, war es schon fast zu spät. Alle Häuser der Dorfstraße bis zur Kirche mit dem alten Pfarrhaus, alle Gebäude der Großen Gasse (mit Ausnahme der damaligen Schule) und selbst Häuser jenseits des Baches wurden ein Opfer der Flammen. Gerettet werden konnten vor allem die mit Ziegeln oder Schiefer gedeckten Häuser. So waren einen Tag vor Heiligabend fast 500 Waldorfer obdachlos geworden.

In einem für den Ahrweiler Landrat erstellten Schadensverzeichnis wurde der Wert der abgebrannten Gebäude mit 37.403 Reichstaler und die Höhe der Mobiliarschäden mit 18.790 Reichstaler beziffert. Der Schaden betrug pro betroffener Familie durchschnittlich rd. 800 Taler; eine ungeheure Summe für die damalige Zeit. Hinzu kam, dass niemand gegen Brandschäden versichert war.

Löscharbeiten forderten ein Todesopfer

Bei den Löscharbeiten kam der Sinziger Bürger Karl Josef Deutsch ums Leben. Er war einer der vielen Helfer aus den umliegenden Orten und wurde in der Broos, im Haus des Anton Radermacher, von einem herabstürzenden Holzbalken erschlagen5). Karl Josef Deutsch hinterließ eine kranke Frau mit zwei kleinen Kindern. Dem Verunglückten wurde damals eine Inschrift gewidmet, die man beim Wiederaufbau dieses Hauses in einen Holzbalken einschnitzte. Heute erinnert dort ein Basaltkreuz an Karl Josef Deutsch.

Hilfe für die Geschädigten 

Bürgermeister Knieps aus Niederbreisig schrieb in einem Entwurf zu einem Spendenaufruf während der Karnevalszeit 1825 unter anderem: „Wenn es nun lediglich der Vorsehung und der tätigen freundnachbarlichen Hülfe der Bewohner von Niederbreisig, Burgbrohl, Sinzig, Hönningen und Brohl zu verdanken ist, daß noch ein Teil der Häuser verschont geblieben, wenn ferner die Behörden und Bewohner der ganzen Gegenden in höchstem Grade für die bereits eingesandten milden Gaben zur Befriedigung der ersten Lebensbedürfnisse der Waldorfer Dank verdienen, so bleibt doch noch immer der Wunsch übrig, für diese unglücklichen Verbrannten milde Beiträge zu sammeln, damit sie wieder ein Obdach erhalten und ihre gewohnte Tätigkeit in Bearbeitung nützlicher Stoffe fortsetzen können.“6).

Es ist allerdings nicht bekannt, ob dieser Spendenaufruf veröffentlicht wurde.

Erinnerungskreuz an den 1824 beim großen Brand in Waldorf verunglückten Feuerwehrmann Karl Josef Deutsch.

Die Hilfsbereitschaft für die Brandopfer war groß. Neben Lebens- und Futtermittel trafen Geldspenden aus 10 Kreisen sowie 40 Orten diesseits und jenseits des Rheins in Waldorf ein7). Die Pfarrer aus Franken und Fritzdorf spendeten aus Kirchenkollekten. Außerdem wurden in Bonn und Elberfeld zwei Privatsammlungen zugunsten der Brandopfer durchgeführt. In Polch erzielte man etwa 75 Taler aus dem Verkauf gespendeter Lebensmittel. Aus der näheren Umgebung wurden Baumaterialien wie Holz, Dachpfannen und Speichernägel angeliefert. Alle Lebensmittel und Geldspenden wurden durch eine „Verteilungskommission“ ausgegeben, der neben Bürgermeister Knieps auch der Waldorfer Pfarrer Becker und Pfarrer Stephani aus Franken angehörten. Für die ersten vier Monate wurde nicht nur der Bedarf der Bevölkerung sichergestellt; es konnte sogar ein kleiner Vorrat wie beispielsweise 270 Malter Roggen und 100 Malter Kartoffeln gelagert werden. Bis Mai 1825 konnten auch 1.480 Taler an Kollektengelder unter Berücksichtigung von Familiengröße und Arbeitsfähigkeit verteilt werden.

Charaktereigenschaften und Mentalität der Waldorfer

Bürgermeister Knieps berichtet am 7. März 1825 dem Landrat u.a. „Von jeher zeichnete sich die Gemeinde Waldorf in Absicht der unter den Bewohnern derselben stets herrschenden Harmonie, des geselligen Lebens, der Ruhe und des ächt bürgerlichen Gemeinsinns aus. Wechselseitige Hilfe bei der Erbauung ihrer Wohnstätten, einhelliges Zusammenhalten wenn Nachbarn sie kränken wollen, eifriges Anstrengen in Herstellung und Erbauung ihrer Feldwege“.

Weiterhin lobt er die außerordentliche Geschicklichkeit bei der Bearbeitung des Spinnflachses, die Viehzucht und „vorzüglich die jungen Zugochsen zu lehren und dieselben zu tüchtigen strapazierfähigen arbeitsamen Pflugochsen vorzubereiten“.

Zur Mentalität der Waldorfer schreibt er in diesem Bericht: 

„So ruhig und zufrieden sie indessen unter sich waren, so klebten sie dennoch an Vorurtheilen. Alles, was das Gepräge der Neuzeit trägt, findet bei ihnen nicht leicht Eingang. Was ihnen nicht nach ihren Grundsätzen huldigt, verachten sie, ein kleiner Teil derselben, welche gewöhnlich blos eine natürliche Religion haben, sind in allen öffentlichen und Privathandlungen und Auftritten die Leiter und Rathgeber. Fürsorgemaßnahmen des Staates dagegen schätzten sie offensichtlich nicht hinreichend, denn so auch war in Waldorff der Geist des Wohlthuns und Beglückens seitens des Staates nicht immer günstig aufgenommen“.

Bürgermeister Knieps kritisiert in seinem Bericht auch die unzulängliche Ausstattung von Waldorf mit Feuerlöschgeräten und zeigt auch Mitleid: „Es sei jedoch nicht der Ort, über die Waldorfer zu klagen die zu spät begriffen hätten, wie wohlthätig Brandinstitute seien. Wenn Blindheit, Eigensinn und üble Rathgeber auch Schuld an diesem gränzenlosen Misgeschick tragen, so wollen wir hier nur die Sprache der Milde und des Wohlthuns führen“8)

Offensichtlich will der Bürgermeister darauf hinweisen, dass es bislang nicht möglich war, die Waldorfer von der Notwendigkeit zu überzeugen, Feuerversicherungen abzuschließen.

Schadensbewältigung dauerte Jahrzehnte

Angesichts der Armut des überwiegenden Teils der Bevölkerung war es den meisten Brandopfern unmöglich, die Schäden mit eigenen Mitteln zu regulieren. Denn ihren Lebensunterhalt bestritten die Waldorfer nach Aussage von Bürgermeister Knieps hauptsächlich aus der Bearbeitung des Spinnflachses und der Fabrikation schöner Baumwollwaren sowie aus Viehzucht, Kohlanbau und Herstellung von Birnensaft.

So legten die Schöffen Weiland und Radermacher am 24. Februar 1826, also vierzehn Monate nach dem Großbrand, den übergeordneten Behörden eine Zusammenstellung der Geschädigten vor9). Hier wurden lediglich 12 Familien als bemittelt und die anderen 56 betroffenen Eigentümer als wenig bemittelt oder arm eingestuft. Außerdem berichteten die beiden Schöffen, dass 9 Familien ihre Häuser bis Ende Februar 1826 zwar ganz aufgebaut hatten, sie jedoch noch nicht bewohnen konnten. 48 Geschädigte waren nur in der Lage, ihr Haus zum Teil wieder herzustellen. Über 15 Waldorfer wurde berichtet, dass sie aus eigenen Mitteln gar nichts tun können.

Im Jahr 1827 waren noch immer Familien in der Schule untergebracht.

Eine Aussage des Gemeinderates im Jahr 1863 lautet: „unser Ort sieht zwar äußerlich wohlhabend aus, weil er neu ist, aber den meisten Häusern fehlt innerlich noch der Ausbau”10). In Waldorf hatte man die Folgen dieser Brandkatastrophe noch lange nicht überwunden.

Anmerkungen:

  1. Pfarrchronik.
  2. HSTAD Abtei Gladbach, Urkunde Nr. 344.
  3. G. Eckertz, Die Benediktiner-Abtei M. Gladbach, 1853, S. 142.
  4. LHAK 655, 206 Nr. 882.
  5. Pfarrarchiv.
  6. Wie Anm. 4
  7.  Wie Anm. 4
  8. Wie Anm. 4.
  9. Wie Anm. 4.
  10. LHAK 655, 206 Nr. 740