Hermann Josef Fuchs
Seit Menschengedenken leben die Anwohner des in den Sommermonaten so viel besungenen wunderschönen deutschen Rheins, in den Wintermonaten mit den Tücken und Gefahren, die Altvater Rhein mit sich bringt. Das sind die wiederkehrenden extremen Hochwasserfluten, hinzu kamen in früheren Zeiten in kalten Wintern die Eisgänge auf dem Rhein. Besonders gefürchtet war, wenn das Saum- und Treibeis bei plötzlich eintretendem Tauwetter mit Hochwasser abging. Eiszeit auf dem Rhein, das ist heute nur noch ein Stück Geschichte.
Fünfundzwanzig Jahre ist es her, daß die letzten Eisschollen auf dem Rhein stromabwärts trieben, Früher einmal, daran erinnert sich die ältere Generation, gab es in kalten Wintertagen Eis auf dem Rhein zur Freude der Kinder und zum Leidwesen der Rheinschiffer. Das Saumeis war für die Jugend Schlittschuh- und Rodelparadies.
Seit Januar/Februar 1963 ward keine Eisscholle mehr auf dem Rhein gesehen. Selbst die strengen Frosttage im Winter 1977/78, sowie 1984/85 haben das Rheinwasser nicht zu Eis werden lassen. Salz und Industrieabfallstoffe haben den Rhein aufgeheizt. Die Verschmutzung und die damit verbundene Aufwärmung des Rheinwassers sind die Gründe dafür, daß sich keine Eisschollen mehr bilden.
Einer der ersten überlieferten Eisgänge kann schon für den Winter 53/52 v. Chr. angenommen werden. In seinem Kommentar über den Gallischen Krieg spricht Cäsar vom Abbruch eines 60-m-Teils der im Jahre 53 v. Chr. in Urmitz gebauten Rheinbrücke, um den Germanen die Benutzung dieser Brücke zu Einfällen unmöglich zu machen. Der Vermutung liegt nahe, daß die Brücke im Winter 53/52 v. Chr. am rechten Ufer durch Treibeis oder Hochwasser stark beschädigt wurde und Cäsar diesen Unfall in seinem Bericht überging.
Im Winter 1928/29 erlaubte die geschlossene Eisdecke bisher zum letzten Mal eine Rheinüberquerung zu Fuß.
Mit Eisgang auf dem Rhein befaßt sich ein Kölner Chronikbericht aus dem 16. Jahrhundert, in dem es unter anderem heißt: »Im Jahre des Herrn 1591 war ein kalter Winter, so daß der Rhein gefror, des nächsten Tages nach dem Tag der St.-Pauli-Bekehrung (25. Januar) und stand ungefähr acht Tage. Und das war in vielen Jahren nicht mehr so geschehen. Um des anderen Tages lief das Volk sehr über das Eis an drei Stellen. Aber danach geschah es. daß das Eis brach und viel Volk war auf dem Eis zwischen Köln und Deutz, daß große jämmerliche Stimmen gehört wurden, denn das Volk lief sehr eilig auf dem Eis dem Lande zu nach Köln und nach Deutz. Doch Gott fügte, daß das Eis widerum zum Stehen kam und das Volk kam zu Lande, so daß niemand ertrank.« Aus dem Jahre 1784 ist festgehalten, daß damals Eismassen das Rheinbett von Bad Hön-ningen bis nach Düsseldorf zugestaut hatten. Am 25. Januar 1784 hatte die Eisstauung Bonn erreicht, und zwei Tage später entwickelte sich schon ein reger Verkehr über die Eisdecke zwischen Bonn und Beuel. Fast einen ganzen Monat lang konnten Fußgänqer, aber auch Fuhrwerke, beladene Kar'e-n und Wagen den Strom überqueren. Auf dem Eis hatten Händler ihre Stände aufgebaut, denn alle Tage kamen Schaulustige aus nah und fern, um das ungewöhnliche Bild des vereisten Stromes zu sehen. Erst am 25. Februar brach das Eis. Die Wassermassen führten meterdicke Eisschollen mit sich und ergossen sich über die Rheinufer und richteten in den Rheinorten furchtbare Verwüstungen an. Unter anderem wurde in Oberwinter das alte Pfarrhaus von den Fluten weggeschwemmt. Dabei wurden alle dort verwahrten alten Urkunden und Dokumente vernichtet. Groß war der Verlust für das öffentliche Leben, denn nicht staatliche Stellen, sondern die Ortspfarrer führten Geburts-, Tauf-, Hochzeits- und Sterbebücher. Aus dem Jahre 1784 ist zudem eine bedeutende Reparatur der katholischen Pfarrkiche Oberwinter belegt, die mit Sicherheit ihre Ursache auch in der Hochwasserflut hatte.
Kaum fünf Jahre später, am 6. Januar 1789, war der Rhein zwischen Bonn und Beuel erneut zugestaut. Aber diesmal blieben, da sich die Eisdecke bei niedrigem Wasserstand gebildet hatte, die Uferbewohner vor Schaden bewahrt. Ein erneuter starker Eisgang auf dem Rhein wird im Jahre 1823 verzeichnet. Der Königlich-Preußische Polizeipräsident teilt in einer Polizeibekanntmachung in der Kölnischen Zeitung vom 22. Januar 1823 unter anderem folgendes mit:
»Da die Eisdecke auf dem Rhein heute mittag bis in die Gegend von St. Kuniberts-Kirche vorgerückt ist, so steht zu erwarten, daß binnen kurzem die Eisdecke eine sichere Passage vor hiesiger Stadt darbieten wird. Der Zeitpunkt und die Stelle, wo das Eis auf dem Rhein ohne Gefahr passierbar werden kann. wird noch näher bekanntgegeben.«
Als im 19. Jahrhundert der Personen- und Güterverkehr auf dem Rhein zunahm, war Treibeis je nach Ausmaß und Stärke für die Schifffahrt eine drohende Gefahr. Kam Treibeis, dann suchten die Schiffe die schützenden Häfen auf. Die Fährleute brachten ihre Anlegebrücken in Sicherheit, denn nicht selten folgte einem Eisgang unmittelbar Hochwasser nach, In den Jahren 1888 bis 1891 wurde zum Schutz der Rheinschiffe der Oberwinterer Hafen gebaut, der die Bezeichnung Schutzhafen erhielt.
Des einen Leid ist des anderen Freud. So machten Handwerker und Kaufleute in früherer Zeit auf und mit dem Rheineis ihr Geschäft. »Auf dem Rheineis bin ich erbaut, mit Rheinwein bin ich getauft.« Dieser Spruch befindet sich auf einem Faß des Küfers Knecht aus Gernsheim, Knecht glaubte, den Geschmack seines Rebensaftes dadurch verbessern zu können, daß er seine Fässer auf dem Rheineis band.
Die aus dem Randeis gesägte
"Reise-Scholle"
unterwegs nach Köln. Unterhalb des Eisstaus am Unkelstein war der Rhein fast frei von
Treibeis.
Und selbst gefeiert wurde in früherer Zeit auf der Eisdecke von Vater Rhein, Es gab Eisfeste, als Volksfeste aufgezogen mit Karussells, Schießbuden, Bierzelten und Musikkapellen, bei denen es hoch herging, wie zuletzt im Winter 1879/80 beim Eisfest zwischen Köln und Deutz.
Die extrem kalten und andauernden Winter unseres Jahrhunderts waren in den Jahren 1928/29, 1939/40, 1940/41, 1941/42, 1946/47, 1962/63, 1977/78, und 1984/85. Betrachtet man die drei Wintermonate Dezember, Januar und Februar gemeinsam, so war der Winter des Jahres 1928/29 mit Abstand der Extremste.
Der Winter 1928/29
Über Wochen herrschte 1928/29 strenger Winter. Der Rhein hatte wenig Wasser. Eisschollen, oftmals dicker als einen Meter, trieben stromabwärts. An scharten Stromkrümmungen, vor allem an der Loreley und bei Unkel/ Unkelstein staute sich das Eis kilometerlang. Neugierig standen die Menschen zu beiden Seiten des Ufers oft stundenlang und schauten dem munteren Eistreiben zu.
Am 16. Februar 1929 kamen die Eisschollen erstmals zum Stehen. Sie stauten sich in dem engen Bett bei Unkel etwa in der Höhe der Unkeier Pfarrkirche, wo sich von der linken Rheinseite aus der Unkelstein, ein Basaltfuß durch den Rhein bis zum Pantaleonsberg in Unkel hinzieht.
Kaum waren die Eismassen zum Stehen gekommen, da wagten es einige Unkeier Burschen das linke Rheinufer zu erreichen. Große Stangen, mit denen die Haltbarkeit des Eises abgetastet wurde, führten sie mit. Sie erreichten auch trockenen Fußes das linke Rheinufer. Doch kurze Zeit später brach die Strömung wieder die feste Eisdecke, und ein langer Heimweg über die Rheinbrücke bei Remagen stand den Unkelern bevor.
Ein neuer Kälteeinbruch ließ abermals am 20. Februar 1929 die Eismassen an gleicher Stelle zum Stehen kommen. Einige Tage konnten die Menschen zu Fuß von einem zum anderen Rheinufer gehen. Dieser Rheinübergang war ein großes Jahrhundertereignis, das viele Tausende Schaulustige anzog. Selbst Leute von weit her kamen, um einmal zu Fuß über den Rhein zu gehen.Allzuort liest und hört man von einem »zugefrorenen Rhein.« Diese Vorstellung ist falsch. Der Rhein war nicht zugefroren. Es hatten sich lediglich riesige Eismassen, bedingt durch das enge Flußbett, kleinen Wasserstand und minimale Strömung bei Unkel gestaut und unter-und übereinandergeschoben. Nur so war die geschlossene Eisdecke zustandegekommen. Es mußten zuerst Wege durch die Eisgeröllmassen gebahnt werden, um den Übergang zu ermöglichen.
Bei den vielen Schaulustigen witterte der damalige Gastwirt Ferdinand Gohr ein Geschäft. Er plante ein Volksfest auf dem Rhein zu veranstalten. Er hatte bereits eine Holzbude auf dem Eis aufgeschlagen, in der Glühwein verkauft wurde. Aber der Plan wurde nicht ganz verwirklicht, da der Gesetzeshüter die Feier im großen Stil auf dem Eis aus Sicherheitsgründen untersagte.
Mit dem sensationellen Rheinübergang im Jahre 1929 verbindet sich eine einmalige Story. Als die Eisdecke wieder aufgebrochen war, verwirklichten vier Unkeier Heinrich Küsters, Josef Flohr sowie Johann und Daniel Vollmer, letzterer von Ende 1952 bis Ende 1965 Bürgermeister von Unkel den Plan, auf einer Eisscholle nach Köln zu fahren. Der Drang nach Abenteuer ließ die Unkeier auf die ungewöhnliche Idee kommen.
Man wartete einen günstigen Zeitpunkt ab. Klares, sonniges Wetter und wenig Treibeis waren die Voraussetzungen für den Start des Unternehmens. Die vier bestiegen eine eigens für diese Reise hergerichtete dicke Eisscholle. Eine Bank, ein Ofen zum Aufwärmen, eine Fahne mit Schild »Gruß aus Unkel" und die Enterhaken waren die einzigen Utensilien. die die Eisschollenfahrer mitnahmen.
In Bad Honnef gerieten die vier Mutigen mit ihrer Scholle auf Grund. Das Unternehmen schien beendet. Schließlich gelang es doch, die Scholle wieder flottzumachen. Die Reise in die Domstadt wurde fortgesetzt. Die ländliche Begleitung bildete August Gohr aus Unkel. der mit seinem Pkw Proviant und trockene Wäsche für den Fall beförderte, daß. ....
Sein Versuch, den Vieren von der Bonner Rheinbrücke eine Flasche »Schabau« hinunterzulassen, scheiterte daran, daß die Schnur, an der die Flasche hing. zu kurz war. Die Fahrt ging weiter.
Am späten Nachmittag verließen die vier Unkeier in der Domstadt Köln hinter dem Hafen die Scholle. Hier präsentierte sich ihnen ein großer Menschenauflauf. Kaum hatten die beherzten Unkeier wieder festen Boden unter den Füßen. da wurden sie von der Kölner Hafenpolizei zum Verhör in Empfang genommen.
Indessen war auch der Landfahrer August Gohr in Köln eingetroffen, um die mutigen »Mannen« wieder sicher mit dem Auto nach Hause zu fahren, Nicht genug, daß die Vier die Scholle unversehrt verlassen konnten, sie mußten auf Anordnung der Hafenpolizei die Scholle sauber aufräumen. Dabei durfte August Gohr, der mithalf, nichts von den Utensilien in den Rhein werfen.
Nachdem die Vier wieder auf freiem Fuße waren, wurde die Heimreise angetreten. Es versteht sich, daß die vier Unkeier in ihrer Heimatstadt als Helden des Tages zünftig gefeiert wurden.