Necknamen im Kreise Ahrweiler

VON JOSEF RULAND

In den Jahren 1964 und 1965 wurden an die Lehrerschaft im Kreise Ahrweiler Fragebögen versandt, die nach den Necknamen der Orte fragten. Als Beispiel etwa: Wie heißt der Ort Brück bei seinen „feindlichen" Nachbarn? Welchen Namen erhält Brück, wenn der Ort, etwa im Karneval, verspottet werden soll ? Die Antwort lautete „Brücker Bock".

Auf diese Aktion hin, verbunden mit Fragebögen, die schon im Jahre 1922 ausgesandt worden waren und im Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn heilig gehütet werden, kamen rund 100 verschiedene Neck- oder Spottnamen zusammen. Damals, vor den Eingemeindungen, besaß der Kreis rund 163 einzelne Orte nach dem Ortschaftenverzeichnis des Kreises. Eigentlich werden mit diesen Ortsnecknamen gar nicht die Orte getroffen, sondern die Bewohner. Also, wiederum vom Beispiel abgeleitet: Nicht der Ort Brück ist bockig, sondern die Bewohner sollen es sein. Und man wollte dabei die Bewohner nicht nur necken, sondern eher ärgern.

Vergleiche aus der Tierwelt

Und um gleich bei diesem Beispiel zu bleiben. Sehr viele Orte werden mit Anspielungen aus der Tierwelt geneckt. So heißen die Bandorf er „Bandorf er Oseköpp", die Bengener „Bengende Öahs", die Bröhlinger „Brüllinge Bredderooße", die Denner „Denner Säustall", die Pützfelder „Pötzfelder Höhnernoß" (Hühnernest) und die Schalkenbacher „Schalkemicher Säustall". Die Reihe ließe sich verlängern um die „Fussene Bock", die Bewohner Fuchshofens, die „Hoona Burchessele", die Bewohner Hains in der Nähe der Ruine Olbrück, oder auch die Bewohner Heckenbachs, die wie die von Fuchshofen „Heckemija Bock" genannt werden. Die Bewohner von Kripp heißen die „Kripper Fente", was man als junge Burschen deuten könnte. Dem ist aber nicht so. Denn von den Krippern gab und gibt es auch einen Spottvers, und der heißt:

„Kripper Finte, rück ens, wat se stinke." Finten waren früher sehr beliebte, allerdings kleinere Wanderfische im Rhein, die von den Krippern gefangen wurden und in den Handel gingen.

Solche Merk- und Spottverse waren sehr beliebt und meist auch sehr deftig. So wurden die Nierendorfer - vielleicht werden sie es noch - „Nientröppe Frosch" geschimpft. Ein alter Einwohner Nierendorfs teilte dazu mit, der Name sei sicher der sumpfigen Umgebung Nierendorfs zuzuschreiben, wo abends meist die Frösche quakten. Auch dazu gab es einen solchen Merkvers:

„Nientröppe Fröschelche hann am A... e Löchelche."

Das hieß nun wieder, in das Weltbild der damaligen Zeit versetzt, die Kinder des Ortes Nierendorf mußten sehr oft mit geflickten Hosen herumlaufen. Wenn man dies nun wieder rückübersetzt, bedeutet es, in den Augen der Nachbarn waren die Nierendorfer arm.

Übrigens hatten und haben fast alle Orte im Kreise Ahrweiler nicht nur einen, sondern mehrere Spottnamen. So wurden die Bewohner des würdigen Badeortes (Nieder-) Breisig von Remagen her „Her-ringsköpp" geschimpft. Die Schelborner aber sagten „Breisijer Windbeutel". In  B r oh l sagte man „Breisijer Leimdeufele", in Heppingen „Breisijer Ölligspeife" und in Oberbreisig schließlich „Sanddeuvele". Fünf verschiedene, teils angrenzende, teils nicht angrenzende Orte widmen also Breisig Gedanken des Spottes und treffen damit, in ihren Augen, wesentliche Eigenschaften der Breisiger. Windbeutel bedeutet Großsprechertum, falscher Protz, während mit „Herringskopp" ein trockener, allzu trockener, geiziger Geselle gemeint ist. In diese Richtung zielt auch das Wort „Sand-" bzw. „Leim(Lehm)deuvele".

Vergleiche aus der Pflanzenwelt

Eine zweite große Gruppe der Ortsnamen bezieht ihre Vergleiche aus der Pflanzenwelt. Dazu ein schönes Beispiel. Die Bewohner der Orte Dorsel, Ahrdorf und Lommersdorf werden „Dinkerländer" genannt. Dinkel ist eine heute nicht mehr angebaute Weizenart. Die Bewohner von Aremberg aber nannten und nennen sich „Korländer", also Kornanbauer. Während in den zuerst genannten drei Orten das Klima es noch zuließ, eine Weizenart anzubauen, mußten die hochgelegenen Aremberger darauf verzichten und sich statt dessen mit Roggen zufrieden geben. Wenn die Bewohner von Dedenbach, Ober- und Niederdürenbach als „Dedemije Meeskrätzer (Mooskratzer)" und „Düremicher Moosbeutel" bezeichnet werden, dann steckt auch dahinter nicht nur eine Portion bittersten Spottes, sondern auch bitterster Not. Denn das Wort soll auf die schlechten Getreideernten hinweisen, die hier wegen des Klimas anfielen. Dann hatten die Bauern nicht einmal Stroh zum Streuen, sondern mußten in den Wäldern nach Moos suchen, um dies dem Vieh unterzulegen. Niederadenau wurde poetisch als „Rusedal" bezeichnet, was natürlich auch blanke Ironie war. Einen schönen Namen hatten die W a l -dorf er. Man nannte sie „Kappesjeblauch". „Kappesjeblauch" sind aufgesprungene Kappesköpfe, die nicht verkauft werden konnten, sondern in die Futterkessel wanderten. Die Bewohner Bengens hießen „Sengender Linseköpp" oder schlicht „Linsepäns". Auch hier läßt sich zunächt an Armut denken, etwa daß es hier fünfmal in der Woche Eintopf gab. Allerdings kann dieser Spottname auch Neid enthalten, denn für unsere Altvorderen galten Linsen als eine Delikatesse, was sie ja auch wirklich sind. Einen großen Grad der Bekanntheit besitzt der Neckname der Westumer. Sie werden einfach als „Murre", oder als „Murrepänz" bezeichnet. Und weil sie so gut Kirmes feiern können, diese auch wahrscheinlich in die Zeit der Möhrenernte fällt, heißt die Kirmes folgerichtig „Murrekirmes".

Charaktereigenschaften und soziale Unterschiede

Eine dritte Gruppe bilden die Orte, deren Spottnamen schon ganz konkrete Hinweise auf Charaktereigenschaften geben sollen. Zum Beispiel hießen die Bewohner Adenaus bei einem Teil der Nachbarorte „De Ädene Spotzbowe" (Spitzbuben), wahrscheinlich weil sich die Landbevölkerung von den Kaufleuten des Einkaufzentrums betrogen fühlte. Die Leute in Antweiler wurden „Wondböggel" gerufen, wurden also als Prahlhänse und Großtuer angesehen. Ähnlich wurden die Königsfelder Einwohner „Dreiviertelshäre" gescholten, weil Königsfeld tatsächlich einmal Stadtrechte besaß, aber nie in der Lage war, diese Rechte zu nutzen und auszubauen. Von Lückenbach geht der Spottvers um:

„Löckemich de jruß Stadt, die nömme ach Hause hat."

Die Bewohner von Hoff eld werden „Hoffelder Narrenpützjer" genannt. Die Erklärung, die vorlag, lautete: als Orte rundherum bereits Wasserleitungen besaßen, habe man in Hoffeld immer noch Wasser aus dem Pütz holen müssen. Die dahinter stehende Pointe hieß dann: Gott, müssen das schreckliche Zustände gewesen sein! Natürlich übersehen die Spottenden, daß auch ihre Vorfahren gewiß einmal das Wasser aus dem Brunnen geholt haben, zudem meist sauberer als dasjenige, das wir umweltgeschädigten Bürger allerorten zu trinken gezwungen sind. Wie dem auch sei. Die Hoffelder haben Mut bewiesen und einen Karnevalsverein „Narrenpützjer" genannt, Damit ist dem Spott die Spitze abgebrochen; denn wer vermag es schon über sich zu bringen, sich selbst zu verspotten? Die Bewohner Oberzissens wurden rundweg als „Besemsmächer" bezeichnet. Wir wissen alle, welchen Grad der Armut diese Bosheit ausdrücken soll. Dazu sang man im Nachbarort Niederzissen noch: „Oberzesse es bedresse."

Wie schon gesagt, zimperlich war man nicht. Die Bewohner Kirchdauns hießen die „Dungener Plattäsch", oder „Bladde-Äasch". Dahinter verbirgt sich wie so oft eine Anspielung auf die angebliche Armut Kirchdauns; denn, so lautet die Interpretation, die Kirchdauner mußten oft genug in den Wald, um Laub für den Viehstall zu bekommen. Da gab es auch ein Spottverschen: „De Urwelsch (Flurname) rop, de Steinpaad (Flurname) rop, de Blaade senn drüsch, Haas hup, Haas hup, Haas hup."

Foto: Kreisbildstelle
Strohgedecktes Haus in Eichenbach

Wenn also bei diesen Berggängen ein Häslein angetroffen wurde, mußte es dran glauben. Schelborn, einer der kleinsten Orte des Kreises, mußte natürlich besonders viel leiden.

„Mein Vater ist Bessernsmacher, Bockhalter und Lämmerschneider." Wenn Armut und Verachtung gesteigert werden können, dann nur in der angegebenen Form.

Historisch bedingte Necknamen

Eine weitere Gruppe unserer amüsant-boshaften Betrachtung bilden diejenigen Spottnamen, die auf einen historischen Hintergrund anspielen. Ahrweilers Bewohner zum Beispiel werden von einigen Orten „Stadtmoure-Dresse" bezeichnet, von anderen als „Wallkläpper". Beide Namen haben die Mauern und Tore der Stadt vor Augen. Die Bewohner des weitaus kleineren Hummel heißen die „Jülch", weil Hummel mit Falkenberg, Bröhlingen, Blindert, Marthel, Heistert und Pitscheid Jahrhunderte zum Herzogtum Jülich gehörte. Südlich des Ortes, hinter dem Armutsbach, dessen Name vermutlich von Arembergerbach abgeleitet ist, begann das Arembergische. Die eingebildeten Neuenahrer wurden „Schinnebrööter" genannt, auch nicht gerade schmeichelhaft. Aber mit diesem Wort, dessen Geschichte allgemein bekannt sein dürfte, werden die Streitigkeiten zwischen Wadenheim, Beul, Hemmessen und Ahrweiler festgehalten, wovon die erstgenannten damaligen Dörfer ebenfalls zum Herzogtum Jülich, zuletzt zur Kurpfalz, gehörten, während Ahrweiler kurkölnisch war. Übrigens begannen diese Streitigkeiten, die historisch belegt sind, - wenn auch nicht der Akt des Schienbeinbratens -, im Jahre 1419. Reifferscheider werden in einem weiten Umkreis „Biewelskicker" genannt. Dazu gibt es drei Erklärungen. Die eine lautet, die Bewohner könnten große Stellen aus dem Buch der Bücher auswendig. Eine andere sagt, ein früherer Pfarrer habe seine Schäflein zur vermehrten Bibellesung angehalten, und die dritte schließlich behauptet, bei einer Firmung habe der Bischof die Firmlinge für die guten Kenntnisse gelobt. Interessant ist auch der zweite Necknamen für Waldorf. Er heißt „Klubisten", „Globisterc". Das kann nur bedeuten, daß die Waldorfer mit den anrückenden Revolutionssoldaten im Jahre 1792 sympathisiert haben, ja vielleicht sogar einen Klub gegründet hatten. Dafür gibt es sogar die genauen Belege.

Neckverse

Verse sind gut zu behalten und erhöhen außerdem den Witz. Wie steht beispielsweise Insul da, von dem die Winnerather riefen:

„Äsel in der Essehstadt,
vill zo fräße, noch net satt.
Jruß Döbbe, winnig dren,
zo Äsel mag de Döiwel senn."

Mayschoß, wie auch noch andere Orte, wurde mit dem Vers bedacht:
„Mechije Bure,
wat se lure,
wat se waggele
metde Uere."

In Hochdeutsch klingt das vielleicht weniger grob, ist aber trotzdem nicht weniger boshaft, wenn von dem Ort Vinxt gesungen oder gesprochen wurde:

„In der Vinxt, daist es schön,
wo die Weiber klatschen gehn,
und die Männer Branntwein saufe
und die Kinder barfuß laufe."

Und von B a u l e r schließlich:
„Bauler ist eine schöne Stadt.
Ein jeder trägt seinen Hafersack."

Zusammenfassende Auswertung

Die hier knapp gehaltene Auswertung ergibt folgendes. Ein Ort im Kreisgebiet war mit seinem Ortsnecknamen im ganzen Gebiet bekannt. Das ist Westum. Einen ähnlichen Erfolg haben nicht einmal Bad Neuenahr und Ahrweiler. Meist reicht nämlich die Geltung eines solchen Namens nicht weiter als 10 bis 12  km. Im gewöhnlichen Falle sind es bei der Siedlungsdichte im Kreis nicht mehr als 5 bis 7 Kilometer. Nur für ganz wenige Orte, zum Beispiel Westum, gelten die Necknamen eindeutig. Meist haben die Orte mehrere Namen, die sich auf mehrere Züge des Ortes beziehen. Die Größe des Ortes entscheidet nicht. Im Bereich der Verbandsgemeinde Adenau spielen ausgerechnet auf diesem Gebiet menschlicher Beziehungen die kleinen Orte Lückenbach und Reifferscheid eine große Rolle. Sprachliche Eigenheiten, besonders bevorzugte Berufe in den einzelnen Orten wirken auf die Necknamen sehr förderlich. Die Wandlung des kurzen i zu o an der Mittel- und Oberahr trug der gesamten Grafschaft den Namen „Grafschafter Wand" oder „Wond" ein. Und Lind erfreute sich besonderer Kenntnis, weil es im heimischen Dialekt „Lond" oder „Lonn" heißt. In den kleineren, öfters abseits gelegenen Orten werden ältere, originellere Necknamen behalten, während an verkehrsreichen Strecken modernere Formen nach vorn drängen. So werden die Bewohner der Grafschaft auch „Knülesse" genannt, aber das scheint eine pauschale Bezeichnung zu sein, weil das ältere Wort bereits hier und da verlorengegangen ist.

Wichtig an alledem aber ist: Mögen Spott und Hohn noch so eindeutig überwiegen - etwas gutes wird ja nirgendwo gesagt -, so pflegte man doch die nachbarlichen Beziehungen. Kein Ort stand allein oder wäre vergessen worden. Man wußte eben, daß überall Menschen wohnen mit ihren Schwächen und Eigenheiten, ihrer oft schwer verständlichen Sprache und ihrem Ringen um das tägliche Brot. Und der Kreis Ahrweiler machte davon keine Ausnahme.

Eine ausführliche Arbeit des Verfassers über die Ortsneckereien des Kreises Ahrweiler mit Quellen- und Literaturhinweiser] wurde veröffentlicht in „Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde", 15. Jahrgang, 1968, Heft 1-4.