Schwedische Soldaten am Mittelrhein und im Ahrtal
von 1632 bis 1635
VON DR. DR. CARL MÜLLER
Im 3ojährigen Krieg sahen die Landschaft ten am Mittelrhein und an der Ahr fremde Soldaten aus Frankreich und aus den niederländischen Generalstaaten, aus Spanien, Kroatien und sogar aus Schweden und Finnland. Aus den Ortschroniken und den Annalen der Klöster sowie aus den Archiven der Landesregierungen sind die Herkunftsländer der Truppen bekannt geworden. Aber in den Geschichtswerken fehlen genaue zahlenmäßige Angaben über die Größe der Truppenkörper und über die eigenartige Stellung der schwedischen Söldnerheere innerhalb der schwedischen Armee. Diese Lücken können durch das Studium der Truppenakten im Kriegsarchiv in Stockholm ausgefüllt werden. Zunächst seien aus Ortschroniken und den Jahrbüchern der Klöster die wichtigsten Ereignisse aus der Schwedenzeit im Rheinland wiedergegeben, die Christian v. Stramberg im o. Band seines „Rheinischen Antiquarius", Koblenz, 1862, gesammelt hat. Sie werden ergänzt durch Schriften von W. J. Langen, Remagen, in den Kriegen des Mittelalters bis nach dem spanischen Erbfolgekriege, Remagen, 1907, sowie von Dr. Gerhard Terwelp, Andernach, zur Zeit des 3ojährigen Krieges, Andernach, 1887. Diese berichten, daß gegen Ende Oktober des Jahres 3.632 der General Baudissin mit schwedischen Truppen über den Westerwald an den Rhein kam. Dieser spätere schwedische Feldmarschall Wolf Heinrich von Baudissin (1579—1646) entstammte dem Hause Luppau in der Lausitz und hatte sich als Söldnerführer nach dem Tode des Schwedenkönigs Gustav Adolf dem schwedischen Reichskanzler zur Verfügung gestellt.
Nachdem Baudissin die zum Herzogtum Berg gehörende Stadt Siegburg mit einem großen Vorrat an Korn und Wein erobert und zur Überwachung der Rheinschiffahrt in die Burg Drachenfels eine Besatzung gelegt hatte, rückte er vor die kurkölnische Stadt Linz, die sich mit der durch Schützen aus Ahrweiler verstärkten kleinen Besatzung nicht verteidigen konnte. Nach der Besetzung der Stadt wurde die Besatzung entwaffnet, die Schützen aus Ahrweiler ohne Gewehr nach Hause entlassen, der Bürgermeister Augustin Kastenholz hingerichtet und von der Bürgerschaft eine hohe Geldsumme erpreßt. Zur Sicherung der Überfahrt über den Rhein wurde an der Kripp eine Schanze angelegt und die Orte Remagen mit dem Apollinarisberg, Oberwinter, Sinzig und Rheineck wurden besetzt. Ein kölnisches Aufgebot von 300 Mann zog sich nach Andernach zurück. Im Auftrage von Baudissin, der bei Linz 8 ooo Mann gesammelt hatte, richtete General-Proviantmeister Leonhard von Steinbach am 7. Dezember 1632 an die Stadt Andernach die Aufforderung zur Übergabe, wobei er den Bewohnern die Belassung ihrer Religion und der alten Privilegien versprach (Staatsarchiv Koblenz, Akten Kurköln, Bd. II, S. 251). Da die Stadt die Verhandlungen hinzog, beschoß Oberst Hans=Christoph v. Burgsdorf Andernach mit sechs Geschützen, eroberte die Stadt in der Nacht vom 16. zum 17. November und überließ die Stadt und das Minoritenkloster den Soldaten zur Plünderung. Am 20. November wandte sich der Stadtrat an seinen Landesherrn, den Kurfürsten von Köln, um Hilfe, da Baudissin 4 ooo Reichstaler in barem Geld und 8 ooo Reichstaler in Wechseln gefordert hatte. Um die Bezahlung zu erzwingen, ließ Oberst Josias von Rantzau 12 Bürger ins Hauptquartier nach Linz und über Lahnstein und Bingen nach Hanau bringen. Erst als mit Hilfe des Kaufmanns Lucas Pottgießer in Köln die 4 ooo Reichstaler zur Entschädigung herbeigeschafft worden waren, wurden die Geiseln im April 1633 freigegeben. Unterdessen hatte General Baudissin am 3. November 1632 die Insel Nonnenwerth besetzt, wobei die Kirche als Pferdestall benutzt wurde. Nach der Eroberung der Burg Landskron rückte er am 11. Dezember in Ahrweiler ein, dessen Magistrat mit Ausnahme des Schöffen Peter Develich nach Adendorf geflüchtet war. Er erpreßte 1ooo Reichstaler für die Neutralität sowie die Schonung der Kirchenglocken und zog nach der Plünderung der Stadt zur Saffenburg. Der Kommandant von Burckersdorf hatte aus der ganzen Herrschaft waffen= fähige Männer zur Verteidigung herangezogen. Einer Beschießung der Burg durch drei Kanonen mit 3,8= u. 16pfündigen Kugeln folgte ein Sturm am 14. Dezember, bei dem außer den Soldaten auch sieben Bürger niedergemacht wurden. Der über die Mauern herabgesprungene Amtmann der Herrschaft, der ein Bein brach, wurde später gegen ein Lösegeld von 600 Reichstalern freigelassen. Nach der Zurücklassung einer Besatzung unter Hauptmann Rodinger ließ Baudissin am 15. Dezember die Dörfer Mayschoß, Rech, Marienthal und Dernau plündern und in Dernau sogar die Reliquien aus dem Altar der Kirche mitnehmen, wahrscheinlich um ein hohes Lösegeld zu erhalten. Beim Wegzug von Ahrweiler führten die Schweden auch den Schöffen Develich mit nach Linz, um ihn erst 1634 gegen ein bedeutendes Lösegeld freizulassen. Beim Plündern von Kirchdaun wurde das Pfarrhaus so stark verwüstet, daß es abgebrochen werden mußte (P. Schug, Geschichte der zum ehem. kölnischen Ahrgaudekanat gehörenden Pfarreien, Trier, 1952).
Wenn auch General Baudissin die Ämter Remagen, Sinzig und Oberwinter durch einen Salvaguardia-Brief vom 14. November unter seinen Schutz genommen hatte, so verlangten die Garnisonen immer neue Abgaben unter verschiedenen Vorwänden. Inzwischen gelangten fortwährend Hilferufe der Stadträte von Linz, Andernach, Remagen und Ahrweiler an den Kurfürsten Ferdinand von Köln, der sich wiederum um Beistand an die Statthalterin der Niederlande, die Infantin Clara Isabella Eugenia in Brüssel wandte. Diese sandte darauf im Januar 1633 den Grafen von Isenburg=Grenzau mit spanischen Truppen an den Mittelrhein. Die Städte Remagen und Sinzig öffneten ihm die Tore, während Nonnenwerth durch einen überraschenden Streich genommen wurde, wobei ungefähr 50 schwedische Soldaten, erschlagen und mehr als 100 gefangen wurden. Als General Baudissin im Februar 1633 wieder ins Ahrtal eingedrungen war und die dem Fürsten von Aremberg verpfändete Nürburg erobert hatte, folgte ihm der Graf von Isenburg=Grenzau mit pfalzneuburgischen und kölnischen Truppen, bemächtigte sich der Landscron und nach der Belagerung von einem Monat auch der Saffenburg. Sein Erfolg war von kurzer Dauer. Denn es gelang Baudissin nach einem Gewaltmarsch über die Eifelberge, wieder an . den Rhein zu kommen, wo er den Spaniern am 17. Februar wieder Remagen entriß und die Stadt mit 106 Häusern, dazu vielen Scheunen, in Asche legte, so daß nur 24 Häuser übrigblieben. Nach einem Steuernachlaß=Gesuch der Bürger vom Jahre 1634 soll der Schaden der Stadt Remagen 54800 Reichstaler, der Schaden der Pfarrkirche allein mit den vier zerschmolzenen Glocken 6000 Reichstaler betragen haben. Ahrweiler hatte im Januar 1633 eine Besatzung kölnischer Truppen von 100 Mann unter Hauptmann Schreiber und später 150 Mann unter Hauptmann Plettenberg (Ratsprotokolle, Blatt 45).
Dem verwegenen General Baudissin, dessen Truppen seit Monaten ohne Soldzahlung den Krieg führten und sich nur durch rücksichtslose Plünderungen am Leben er» hielten, gelang auf dem rechten Rheinufer die Eroberung der Burg Hammerstein und die Vereinigung mit dem vom Kanzler Oxenstjerna zu Hilfe gesandten schwedischen Truppen unter dem Kommando des Pfalzgrafen Christian von Birckenfeld. Sie suchten Verbindung mit dem Obersten Josias von Rantzau und Oberstleutnant Storck, die mit 1500 finnländischen Soldaten die Stadt Andernach gegen den kaiserlichen Obersten Wiltberg verteidigten.
Aus Bruhn-Tilke
Kostümwerk
Schwedischer Hauptmann im Heere Gustav Adolfs im 17. Jahrhundert
Am 24. März 1633 mußten jedoch die Schweden von Andernach wegziehen, nachdem sie die meisten Häuser in Brand gesteckt hatten. Ein Versuch kölnischer und jülicher Truppen des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg, das von den Schweden besetzte Siegburg wieder in die Hand zu bekommen, scheiterte am 17. Juni 1633. Aber auch der schwedische Versuch, sich wieder der Stadt Andernach zu bemächtigen, hatte keinen Erfolg. Am 15. Dezember verteidigten die Besatzung unter Oberst Grimberg und die Bürger ihre Stadt. Die Annales conventus Andernacensis ordinis Minorum RecoMectorum berichten rühmend die Tapferkeit der Frauen (etiam foeminarum heroinarum) bei der Verteidigung von Andernach. Mehrere Jahre dauernde Pestkrankheiten, die Ausplünderung durch schwedische Soldaten und die Belastung durch Einquartierungen kaiserlicher und spanischer Soldaten zwangen die Gemeinden am Mittelrhein und im Ahrtal zur Aufnahme von Kapitalien, so daß die große Schuldenlast den Kaiser Ferdinand III. bewog, ein General-Moratorium, eine Zählungsstundung auf fünf Jahre, zu bewilligen (Akten von Kurköln im Staatsarchiv Koblenz, Bd. II sowie Ratsprotokolle von Ahrweiler, Protocoll senatus 1632—1638, Bd. III, BI. 45 und 51). Mit der Vertreibung der Schweden aus dem Ahrtal und aus dem Räume zwischen Bonn und Andernach war ja die Gefahr neuer Verstöße nicht gebannt. Nach den Berichten des Herzogs Bernhard von Weimar und des Landgrafen Wilhelm von Hessen an den Reichskanzler Oxenstjerna im Dezember 1633 waren im Februar und im Juli 1634 spanische Truppen unter Marquis von Celada bei Andernach über den Rhein gekommen, aber die schwedischen Garnisonen in Siegburg, Blankenberg und Windeck hatten sich gehalten, so daß Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg, der Erbe von Jülich=Berg, am 13. 8. 1634 den Abzug der schwedischen Truppen von Siegburg verlangte. Nachdem er mit seiner Forderung Erfolg erreicht hatte, war das Mittelrheingebiet von schwedischen Truppen befreit. (Per Sondén: Rikskansleren Axel Oxenstjernas Skriftef och Brefvexeling. Stockholm, 1.895, 7. Bd. S. 247, 470, 520 U. 527).
Wer die Namensreihe aller Befehlshaber durchsieht, welche schwedischen Truppen am Mittelrhein in der Zeit von 1632 bis 1635 kommandierten, findet vorwiegend deutsche Truppenführer. Leider haben nicht alle Chroniken die Namen der Kommandanten und die Stärke der Besatzung auf» gezeichnet. Um diese Lücke auszufüllen, besuchte ich 1957 außer der Nationalbibliothek auch das Kriegsarchiv in Stockholm, Banergatan 64, unter dem Direktor Dr. Siekzen und wiederum 1960 während des Internationalen Historikerkongresses. Der heutige Leiter des „Krigsarkivs", Dr. Brome, zeigte mir nicht nur das Buch von J. Mankell, Uppgiften rörande Svenska Krigsmagtens, Stockholm, 1865, sondern auch die handschriftlichen Ergänzungen „Katalog over Rullen 1654—1655" (besonders die Stammrollen von 1634). In Mankells Werk ist S. 171 folgende Stärke der Regimenter „Rhenströmmen" für 1633 nach Kompanien aufgezeichnet: Infanterie: 8 Pi= tos = 600, 8 Burgsdorf = 800, 8 Turcks = 700, 8 Casewalls = 600, 16 Graf von Solms = 1200, 8 Jon Lilliesparre = 800, 12 Graf v. Hanau = 1300, 8 Pfalzgraf Christian = 900, 4 Pfalzgraf Lauteneck = 500, 8 Graf v. Isenburg = 600, zusammen 88 mit etwa 8000 Mann. An „Cavallerie" in Schwadrohen: 4 Treschkows = 300, 4 Zulaus = 300, 4 Debitz = 200, 4 Graf v. Solms = 500, 12 Pfalzgr. Christian = 800, 8 Rheingraf Otto = 400, 4 Plessens = 300, zusammen 2 800. S. 173: Für 1634 „Armeerna in Tyksland" (Rhein) Infanterie: 8 Pfalzgraf Christian = 600, 8 Rheingraf Otto=Lutvig = 600, 16 Schawelitzky = 1000, 16 v. Canowski = 800, 8 Pitps = 600, 8 Burgdorf = 800, 8 Turks = 400, 8 Casewall = 600, 8 Forbus = 400, 8 Baudissin = 600, zusammen 6400. „Cavallerie": 12 Pfalzgraf Christian = 200, Rhengraf Otto=Lutvig = 900, 8 Li= liesparre = 300, 12 Schawelitzky = 650, 8 Plessen = 500, 4 Treschkow = 100, zusammen 2 650. Die „Lifgardet" von Baudissin stand unter Kapten Turre Liliesparre. Ob die starke Verminderung der Kavallerie auf die Verluste im Kriege oder auf Desertion wegen rückständigen Soldes zurückzuführen sind, ließ sich aus den Listen nicht feststellen.
Für Siegburg wird als Besatzung im Jahre 1634 das Görtzische Regiment mit 500 Mann und später das v. Isenburgische oder Juwells Regiment mit 500 Mann gemeldet. Von Siegburg und von Andernach aus machten die unter schwedischen Fahnen kämpf enden Truppen immer wieder Plünderungszüge über den RKein bis nach Meckenheim und zur oberen Ahr. Hierbei schreckten sie auch von der Anwendung des berüchtigten „Schwedentrankes" nicht zurück, um die Einwohner zur Abgabe von versteckten Lebensmitteln oder Geldern zu zwingen. Diese planmäßigen Plünderungen und Raubzüge hängen nicht allein mit dem Ausbleiben des Soldes zusammen, sondern mit der Werbung und der Zusammensetzung des schwedischen Heeres. Darauf weist besonders Theodor Lorentzen in seiner in Heidelberg im Jahre 1888 erschienenen Doktor-Dissertation hin mit dem Titel: „Die Entschädigung der schwedischen Armee nach dem 3ojährigen Kriege". Lorentzen zeigt, daß der nationale Grundstock des Reiches ein durchaus armes Land war, dessen Einwohnerzahl etwa 1 1/2 Millionen Einwohner betrug. Um sich gegen Rußland, Polen, Brandenburg und Dänemark zu schützen, mußte Schweden ein stehendes Heer unterhalten. Die traurige Finanzlage zwang dazu, den Krieg geradezu zu suchen, damit das Heer im Feindesland ernährt würde. Der schwedische Staatsmann Salvius sagte auf dem Lübecker Kongreß: „Andere Völker fangen Krieg an, weil sie reich sind, Schweden, weil es arm ist." (Gejer, Geschichte Schwedens, Bd. IV, S. 33). „In Deutschland vor allem waren jene Scharen von Abenteurern (Gejer, Bd. III, 104) verbreitet, welche den Krieg als Handwerk betrachteten, teilweise ganz redliche und tüchtige Kriegsknechte, teilweise heimatloses, verworfenes Gesindel, und welches ohne Zusammenhang mit der Sache, welche sie vertraten, und ohne irgendwelches Nationalgefühl sich der Partei verpflichteten, die ihnen am meisten Löhnung und Plünderung in Aussicht stellte. Aus diesem bildeten die Obersten mit den von ihnen geworbenen Hauptleuten Regimenter, indem sie in diesem Unternehmen ihr Vermögen anlegten. Auf diese Weise ward für sie die ganze Kriegsführung eine Art Geldspekulation." In Schweden rechnete man auf Subsidien, reiche Geldsendungen aus Frankreich, mit dem Gustav Adolf im Januar 1631 den Vertrag von Bärenwalde abschloß, nach dem Frankreich jährlich 400 ooo Taler Subsidien zahlte. Vor allem zur Zeit des Kanzlers Oxenstjerna hatte die Armee längst den Charakter eines Berufsheeres angenommen. Die gesamten schwedischen Truppenkörper konnte man um diese Zeit als eine: Fremdenlegion bezeichnen mit einigen aus Schweden stammenden Kompanien als Heereskorsettstängen. Bei dem westfälischen Friedenskongreß in Osnabrück erpreßte diese Armee als „tertia pars tractantium" von den deutschen nationalen Ständen eine Entschädigung von fünf Millionen Talern.
Wenn das Eingreifen Schwedens in den Krieg auf deutschem Boden unter Gustav Adolf zeitweilig aus religionspolitischen Gründen erfolgte, so änderte sich jedoch nach seinem Tode im Jahre 1632 der Charakter des Krieges unter dem Kanzler Oxenstjerna, der mit 30 ooo geworbenen Soldaten, meistens Schotten und Deutsche, einen Eroberungskrieg führte. Die rücksichtslosen Plünderungen und Brandschatzungen der Schweden waren genau so in deutschen Landen gefürchtet wie die der Kroaten und Franzosen. Das Andenken an die Schwedenzeit am Rhein ist überliefert in dem Liede:
Bet', Kind,
bet',
morgen kommt der Schwed',
morgen kommt der Oxenstjern,
der wird die Kindlein beten lern'.