LEO
STAUSBERG
Ein Wappen erzählt aus der Geschichte des Ländchens Breisig Chorstuhlschranke in der Pfarrkirche zu Niederbreisig mit dem Wappen der Fürstäbtissin Franziska-Cbristine von Essen aus dem Hause Pfalz-Salzbach um 1725 Foto: Bademacher |
Nach mehrjährigen Renovierungsarbeiten, für die den Veranlassern und den Ausführenden hohes Lob gebührt, ist die katholische Pfarrkirche zu Niederbreisig in altem Glänze neu erstanden. So ist sie nicht nur eine zur Andacht stimmende Gebetsstätte, sondern auch eine Sehenswürdigkeit für die vielen Kurgäste des freundlichen Städtchens.
Die schmucke Kirche, in deren Baukörper und Inventar die Stilelemente des Barock und Rokoko vorherrschen, in welchen sich hier und da aber auch schon Anklänge an das Empire finden, wurde zwischen 1718 und 1725 erbaut und anschließend ausgestattet. Es ist nicht der erste Sakralbau, der an dieser Stelle stand. Ihre Vorgängerin war eine dem Schifferpatron St. Nikolaus geweihte Kapelle, die schon 1511 beurkundet ist und damals von den Breisiger Tempelrittern, später von deren Nachfolgern, den Johannitern, betreut wurde. (Vgl. meinen Beitrag im Jahrbuch 1958, S. 120 ff.)
Erbauerin der neuen Kirche, die zunächst noch im Filialverhältnis zur Pfarrkirche in Oberbreisig stand, ist die damals regierende Fürstäbtissin des Reichsstiftes Essen, Bernhardine Sophia, Gräfin von Ostfriesland und Riethberg. Von 1691 bis 1725 führte sie den Krummstab des Stifts. Unser „Ländchen Breisig" stellte den umfangreichsten Außenbesitz des mit landesherrlichen Hoheitsrechten ausgestatteten Fürstentums Essen dar. Hier im Ländchen besaß das Stift nicht nur Höfe und Äcker, Weinberger und einen ausgedehnten Forst, sondern übte auch die landesherrlichen Funktionen aus. Schon im Jahre 898 war unser „Ländchen" dem 852 von dem Bischof Altfried von Hildesheim gegründeten Damenstift Essen (Asnide) durch den König von Lotharingien, Zwentibold, geschenkt worden. (Vgl. meinen Beitrag im Jahrbuch 1957, S. 17 ff.) Es umfaßte die Gemeinden Ober= und Niederbreisig, Ober= und Niederlützingen, Gönnersdorf und Brohl. Eingeschlossen darin lag die kurkölnische Burggrafschaft Rheineck. Der Vinxtbach bildete die nördliche, das Lammertal die südliche Grenze dieser Herrschaft gegen das Stiftsgebiet. Der Essener Hoheit unterstanden außer der Stadt Essen auch die nahebei gelegenen Herrschaften Rellinghausen und Huckarde. Das Stift besaß ferner zahlreiche Güter außerhalb der eigenen Landeshoheit. So gehörten ihm in unserem engeren Heimatbereich je ein Fronhof in Godesberg, Königswinter und Ahrweiler,
Bei einem Besuch der Kirche nimmt uns zunächst der harmonische Gesamteindruck gefangen, den die weißen Wände und hellen Fenster im Zusammenklang mit dem vielfältigen Holzwerk in braun und gold, mit den bewegten Linien der kostbaren Plastiken und Gemälde vermitteln. Gehen wir zur Einzelbetrachtung über, so entdecken wir vielleicht auch die diesem Beitrag beigegebene Chorstuhlschranke. Wir bewundern ihre Wappenkomposition, die die Meisterhand eines unbekannten Holzbildhauers aus den Eichenbohlen hervorzauberte. Wer Geschichte liebt, möchte gerne das Bildwerk enträtseln, das aus den Schnörkeln des Rokoko heraustritt. Als Einzelheiten erkennen wir oben die Fürstenkrone, flankiert vom Stabe der Äbtissin als dem Sinnbild geistlicher Würde und dem Schwert als dem Symbol weltlicher Herrschaft. Geschützrohre, Lanze und Roßschweiftrophäe wollen daran erinnern, daß auch der „Türkenpfennig" des Stifts zur Oberwindung der Türkennot beigetragen habe, die gerade in jenen Jahren, als der Kirchenbau vollendet wurde, durch den Prinzen Eugen, den „edlen Ritter", endgültig bezwungen worden war. Das heitere Gegengewicht gegen diesen kriegerischen Akzent bildet der Putto, der eine Posaune hält, hinter der Rosen hervorquellen. Die Stifterin des Gestühls will offenbar damit ausdrücken, daß sie sich auch die Förderung musikalischer Dinge angelegen sein ließ. Das eigentliche Wappenschild enthält sieben verschiedene Einzelwappen. Da sieht man in der linken oberen Ecke das Wappen des Stifts Essen: zwei gekreuzte Schwerter, die ein Lorbeerkranz umschlingt. Eine farbige Darstellung müßte die Schwertknäufe in Gold, die Klingen in Silber, den Kranz in Grün zeigen und auf roten Grund legen. Die Symbole beziehen sich auf die Schutzheiligen des Stifts, die Märtyrer Cosmas und Damicmus. Seit der Ottonenzeit bewahrt der Essener Münsterschätz ein Schwert in goldener Scheide, mit welchem nach der Legende dieses heilige Brüderpaar enthauptet wurde. Das Schwert ist daher auch im Wappen der Stadt Essen enthalten.
Rechts oben erscheinen im Schilde zwei gekreuzte Jagdpfeile, flankiert von sechs Kugeln: das Wappen des „Ländchens Breisig". Die Kugeln stehen für die sechs Gemeinden, die wir schon nannten. Die Jagdpfeile deuten an, daß diesen Gemeinden einst von der Landesmutter das Jagdrecht verliehen wurde, von dem man in dem ausgedehnten „fürstlich essendischen Hochwald" regen Gebrauch gemacht haben mag. Farbig müßten die Pfeile in Rot mit silbernen Spitzen und die Kugeln in Blau auf silbernem Grunde stehen. Da das „Ländchen" mit seiner Größe von einer Quadratmeile neben dem eigentlichen Stiftsbereich, wie bereits erwähnt, den umfangreichsten Außenbesitz darstellte, steht sein Wappen mit Recht obenan. Unten links gewahrt man ein Kreuz mit einem rechten Schrägfluß. Es ist das Wappen der Herrschaft Rellinghausen. Die Farben hierfür: das Kreuz in Rot, der Fluß in Blau, silberner Grund. Die Propstei Rellinghausen war schon um das Jahr 1000 durch die Äbtissin Mechtildis, Tochter des unglücklichen Herzogs Ludolf, Enkelin Kaiser Ottos L, gegründet worden. Die Stifterin starb 1011 und liegt in Rellinghausen begraben. Auf dem von ihr gestifteten berühmten sog. Mathildenkreuz des Essener Münsterschatzes ist sie mit ihrem Bruder, Herzog Otto, abgebildet. Mathildens Regierungszeit bedeutete übrigens die Glanzzeit des Essener Stifts (973 bis 1011). Das Wappen unten rechts zeigt eine (goldene) Krone über einem sechsspeichigen (goldenen) Rad (auf rotem Grund). Es gehört der Herrschaft Huckarde, deren Kern der Oberhof gleichen Namens bildete. Vor vielen anderen Oberhöfen des Stifts war er durch Exterritorialität ausgezeichnet. Geben die vier ausgedeuteten Wappen über den Herrschaftsbereich des Stiftes zur damaligen Zeit Auskunft, so sagen uns die beiden vierteiligen Wappenmedaillons im Innern des großen Schildes, wer die Stifterin des Chorgestühls ist und aus welchem Geschlecht sie stammt. Das linke Medaillon ist das väterliche, das rechte das mütterliche Geschlechterwappen. Ein kleines Monogrammschild verbindet beide Medaillons. Stifterin ist Franziska=Christine, Tochter des Pfalzgrafen Theodor von Pfalz=Sulzbach und seiner Gemahlin, der Landgräfin Marie=Eleonore von Hessen=Rheinfels=Rotenburg. Am 16. Mai 1696 geboren, wurde Franziska=Christine im Jahre 1726 zur Äbtissin von Essen gewählt, nachdem sie schon seit 1717 das Reichsstift Thorn a. d. Maas geleitet hatte. — Die Stifter Thorn und Essen waren seit dem Dreißigjährigen Krieg meist durch Personal=Union miteinander verbunden. — Da die neue Äbtissin gerade nach Vollendung der Niederbreisiger Kirche ihre Herrschaft antrat, lag es nahe, daß sie das Kirchengestuhl stiftete. Fünfzig Jahre lang hat Pfalzgräfin Franziska=Christine das Essener Stift und seine „Ländchen" mit Umsicht, Tatkraft und Milde regiert. Oft mag sie hier im Chorgestühl gekniet haben, wenn sie zur Zeit der Weinlese ihre Breisiger Untertanen besuchte. Damals gedieh noch der Weinstock auf den heutzutage verwilderten Terrassen des Elzenbergs. Von ihrer Sittenstrenge und Energie wußte ihr geistlicher Vetter, der Kurfürst Klemens August, Erzbischof von Köln, ein Eiedchen zu singen. Um in sein im Brohltal gelegenes Bad Tönisstein zu gelangen, benutzte er nach altem Herkommen die Straße durch das Vinxtbachtal bis Gönnersdorf und von dort den heute noch so genannten „Kutschenweg", der am Frauenbergerhof, dem Sommersitz der Äbtissin vorbei, über den Herchenberg ins Brohltal führte. Als der diesseitsfrohe Souverain, dem wie vielen seiner fürstlichen Zeitgenossen der Hof von Versailles und der „Sonnenkönig" dortselbst als Ideal vorschwebten, wieder einmal den Freuden des Badelebens zueilte, die Prunkkarossen mit italienischen Sängerinnen und Komödiantenvolk beladen, da verwehrte ihm seine fromme Base entrüstet die Durchfahrt durch ihr „Ländchen". Wohl oder übel mußte er umkehren. Seitdem mußte er den Weg zu Schiff bis zum kurkölnischen Andernach nehmen, von wo er über das ebenfalls kurkölnische Namedy gelangte. Von Namedy aus ließ er eigens eine Fahrstraße nach Bad Tönisstein hinab legen, den sog. „Kurfürstenweg", der heute noch existiert. Von 1757 ab wurde der betagten Fürstin eine Koadjutrix beigegeben. Bis 1773 war dies die Prinzessin Anna Charlotte von Eothringen, eine Schwester des deutschen Kaisers Franz, des Gemahls der Kaiserin Maria=Theresia. Von 1773 an half ihr die spätere Nachfolgerin Maria Kunigunde, Tochter des Königs August von Sachsen und Polen. Am 16. 7. 1776 starb Franziska Christine. Die letzte Fürstäbtissin von Essen trat die Regierung an. Noch manches Jahr war Maria Kunigunde unserem Ländchen eine gute Landesmutter. Ihr Bruder Clemens Wenzeslaus bekleidete zu gleieher Zeit die Würde des Kurfürsten und Erzbischofs von Trier. Als 1794 die Revolutionsheere Frankreichs die rheinischen Lande besetzten, gingen beide ins Exil. Maria Kunigunde lebte bis zu ihrem am 8. 4. 1826 erfolgten Tode am königlichen Hof zu Dresden. Einen Monat später versammelten sich ihre ehemaligen Breisiger Untertanen zu einem Requiem in der Pfarrkirche zu Niederbreisig. Daran mögen wir uns erinnern bei Betrachtung des Wappens am Chorstuhl: „Sie transit gloria mundi!" Mit der sächsischen Prinzessin schloß die stolze Reihe erlauchter Frauen, die 900 Jahre lang das Essener Stift und sein Ländchen Breisig regiert hatten. Fünfundfünfzig sind uns mit Namen bekannt. Anfangs waren es ausschließlich Angehörige des ottonischen und widukindischen Geschlechts. Später trugen Frauen des rheinischen und westfälischen Hochadels den Äbtissinnenstab, so von Wied, von Nassau, von Arnsberg, von Wittgenstein von Berg, von der Mark, von Gleichen, von Daun, von Saffenberg, von Sayn, von Manderscheid und von Salm=Reifferscheid, um nur einige zu nennen. Seitens der Erbvögte, der Herzöge von Kleve und der Grafen von der Mark hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Stift Essen seiner Hoheitsrechte zu berauben. Es gelang nicht. Essen blieb bis zur Franzosenzeit das einzige reichsfreie Kanonissenstift im Rheinland. Zweifellos verdankt es dies der Gepflogenheit, nur Damen regierender Häuser mit der Würde der Äbtissin zu bekleiden.
Das Fürstentum Essen ging 1815 im preußischen Staatsgebiet auf. Bischof Altfrieds Münster erlitt durch die Bomben des zweiten Weltkrieges schwerste Wunden. Aus Trümmern neu erstanden, wurde das „Münster am Hellwege" am 1. Januar 1958 einer neuen Bestimmung zugeführt; ihm wurde die Würde der Kathedralkirche des neuerrichteten Bistums Essen zuteil. So erfuhr es 1100 Jahre nach seiner Gründung eine Wiedergeburt, die dennoch aus derselben Wurzel sprießt.
All diese Gedanken drängen sich dem Besucher der Niederbreisiger Kirche auf; und besonders die Gäste aus dem Land an der Ruhr mögen sich der uralten Bindungen zwischen ihrer Heimat und dem „Ländchen Breisig" bewußt werden.